Debatte Doktorendämmerung: Der Nutzen der Promotion
Politik, Presse und Bevölkerung verharmlosen gern wissenschaftliche Täuschungsmanöver. Die Konsequenzen sind ernst - Einspruch muss erlaubt sein.
K aum war man gewillt zu glauben, dass die Selbstregulierungsmechanismen von Wissenschaft und Politik im Falle des Verteidigungsministers zu guter Letzt doch noch funktionierten, schien der heilsame Effekt seines Rücktritts schon wieder verflogen. Nun sah es, böswillig formuliert, im Gegenteil so aus, als sei ein aberkannter Doktortitel geradezu ein Kompetenznachweis für die Beförderung zum Vollmitglied im europäischen Forschungsausschuss.
Es bedarf wohl einer gewissen Chuzpe anzunehmen, Europa sei hinreichend weit weg, weiter jedenfalls als die Hardthöhe, um nun mit einer Haltung durchzukommen, die im Falle zu Guttenbergs noch gründlich schiefgegangen ist - der Ansicht nämlich, bewusste wissenschaftliche Täuschungsversuche sollten für die Sphäre politischer Karrieren bedeutungslos bleiben.
Ressentiment
Gern wird uns dies von interessierter politischer Seite als pragmatischer Realismus verkauft - und eine Mehrheit der Bevölkerung ist geneigt, dem Glauben zu schenken. Denn sie erinnert sich nicht nur nachsichtig eigener Täuschungsversuche, sondern findet Nahrung für ein Ressentiment. Sie meint, die Debatte um das Verhältnis von Amt und akademischen Titel sei doch eine weltfremde Überbewertung ständischer Verhaltensweisen nach den Maßstäben von Aufrichtigkeit, Nachvollziehbarkeit und Fairplay im Wettstreit um Erkenntnis.
Und das Feuilleton - nicht zuletzt der taz - gibt bereitwillig Flankendeckung: War der Versuch nach Maßgabe postmoderner Übergeneralisierungstheorien, nach denen jeder Text nur Zitat eines anderen Textes sein kann und Autoren infolgedessen per definitionem Plagiatoren, auf den ersten Blick noch als Entlastungsstrategie zu verstehen, so wurde auf den zweiten Blick doch schnell deutlich, dass man mit diesem Argument alle Geltungsansprüche der Textgattung Dissertation preisgibt. Und ist das Produkt erst einmal desavouiert, kann direkt zum Generalangriff auf die Lebensform "Doktorand" geblasen werden, die "rechthaberisch" seien und "kleinlich".
Gern würde man angesichts derartiger Vorgänge eine gelassene Heiterkeit entwickeln, wären die zu befürchtenden Konsequenzen nicht so überaus ernste: nämlich fortgesetzte Verharmlosung einerseits und drohende Missachtung echter wissenschaftlicher Leistungen andererseits. Und spätestens hier muss Einspruch erlaubt sein.
Matthias Mayer leitet den Bereich Wissenschaft bei der Körber-Stiftung in Hamburg. Dort ist er unter anderem verantwortlich für den Deutschen Studienpreis, den einzigen bundesweiten Wettbewerb für Dissertationen, der allen Disziplinen offensteht.
Missachtung
Vermutlich gibt es wenige Menschen in der Republik, die pro Jahr mehr Dissertationen sehen als das Team des Deutschen Studienpreises. Dieser Wettbewerb für NachwuchsforscherInnen motiviert jährlich vier- bis fünfhundert DoktorandInnen aller Disziplinen, ihre Dissertationsschrift zu einem Wettbewerbsbeitrag zu kondensieren und beides zusammen mitsamt den wissenschaftlichen Gutachten einer unabhängigen Jury vorzulegen. Der Anspruch des Wettbewerbs ist es, von den fachlich besten Promotionen die gesellschaftlich bedeutsamen auszuzeichnen. Wer gerne der Meinung sein möchte, Dissertationen seien per se eine uninteressante, weil irrelevante Gattung, dem oder der stellen wir gern eine Liste der bearbeiteten Themen zusammen.
Diese Liste würde reichen von skandalösen Befunden zu Antibiotikarückständen in Böden und Grundwasser über die grundrechtlich nicht haltbare Lage von Intersexuellen bis hin zur fundierten Kritik westlicher Statebuilding-Ambitionen auf dem Balkan oder in Afghanistan. Wer dies für esoterisches wissenschaftliches Glasperlenspiel halten mag, scheint mir die gesellschaftliche Bodenhaftung verloren zu haben. Dass sich de facto vom Bundestag über den Deutschlandfunk, der eine ganze Reihe von Diskussionsrunden mit PreisträgerInnen produziert, bis zu dieser Zeitung eine breite Öffentlichkeit für solche Forschungsergebnisse interessiert, mag immerhin beweisen, dass es um den öffentlichen Nutzen und um den Rezipientenkreis solcher Forschung so schlecht nicht bestellt sein kann.
Ein Gutes immerhin hat die gegenwärtige Debatte: Endlich einmal können die Situation von NachwuchswissenschaftlerInnen und einige Merkwürdigkeiten des deutschen Promotionswesens unvoreingenommen in Augenschein genommen werden.
Anerkennung
Da ist zunächst die Anerkennung der schlichten Tatsache, dass ein Großteil der Forschungsleistungen an deutschen Hochschulen von Doktorandinnen und Doktoranden erbracht wird. Ohne sie könnte der Wissenschaftsbetrieb vermutlich ganz einfach dichtmachen. Dass sie sich dabei im Rahmen der sogenannten Individualpromotion immer noch allzu oft in unguten persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen befinden, ist eine nicht gern gehörte Vermutung in arrivierten Wissenschaftskreisen.
Die Vermutung ist aber so falsch nicht. Sie wurde bereits an doktorväterlichen Bemerkungen der Art deutlich, dass ein pädagogisches Verhältnis von Doktorand und Betreuer vor allem auf wechselseitiges Vertrauen gegründet sein müsse. Daccord was das Vertrauen anlangt, aber vielleicht wäre es an der Zeit, von primär pädagogischen Beziehungsmustern Abstand zu nehmen und DoktorandInnen als das anzuerkennen, was sie sind: Kolleginnen und Kollegen in Forschung und Lehre.
Wenn darüber hinaus ein kritisches Nachdenken darüber einsetzen würde, warum ausgerechnet in Deutschland der Doktortitel ein solch begehrtes Zertifikat ist - auch für Beschäftigungsfelder, die mit wissenschaftlichem Arbeiten kaum bis gar nichts zu tun haben -, wäre dies ein zweiter positiver Ertrag der Ereignisse. Auf diesem Feld voranzukommen, würde allerdings auf beiden Seiten Bewegung voraussetzen: auf Seiten der Wissenschaft ein klares Bekenntnis dazu, dass mit diesem Titel die Fähigkeit zu selbständigem und erfolgreichem wissenschaftlichen Arbeiten und somit auch ein signifikanter wissenschaftlicher Ertrag zertifiziert wird und nichts sonst. Auf Seiten der Abnehmer die Einsicht, dass Dissertationen sinnvolle Zugangsvoraussetzungen für Wissenschaftskarrieren sein mögen, aber im Hinblick auf soziale Distinktion und vernünftige Personalpolitik verzichtbar sind.
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