Debatte Bundeswehr in Afghanistan: Wie lange noch?
Schafft der Militäreinsatz in Afghanistan Stabilität oder ist er ein Desaster? Die Debatte wirft einige grundsätzliche Fragen zur deutschen Kriegsführung auf.
D er Militäreinsatz in Afghanistan darf im Wahlkampf keine Rolle spielen. Soweit bisher unisono Christ- und Sozialdemokraten. Jetzt ist dieser Pakt des Schweigens in Gefahr. Der Urheber einer plötzlich aufgebrochenen Diskussion über die notwendige Dauer der militärischen Präsenz "des Westens" in Afghanistan sitzt nicht in Berlin sondern in London. Er heißt Sir David Richards und ist nicht irgendein pensionierter publizitätssüchtiger General, sondern wird am 28. August 2009 Generalstabschef der britischen Streitkräfte.
Seine Prognose von Anfang des Monats lautet: Die Rolle der Armee in Afghanistan wird sich ändern, aber der gesamte Prozess könnte 30 bis 40 Jahre dauern. Für einen Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan sieht Richards "absolut keine Chance". Die britischen Öffentlichkeit reagiert mit Entsetzen und Ablehnung.
Um ein unkontrolliertes Hinüberschwappen dieser Diskussion auf Deutschland zu unterbinden, trat vergangene Woche Verteidigungsminister Franz-Josef Jung auf den Plan. Ein Ende der westlichen Militärpräsenz sei erst in fünf bis zehn Jahren realistisch, da dieser Zeitraum benötigt werde, um die afghanischen Militär- und Polizeikräfte in die Lage zu versetzen, "für die eigene Sicherheit zu sorgen". Dieser Auffassung widersprach sein Parteifreund, der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe.
Christian Semler war in einem anderen Leben Jurist. Seit 1989 ist er Mitarbeiter der taz. Er befasst er sich unter anderem mit Fragen der internationalen Sicherheitspolitik. Zuletzt schrieb er über den zwiespältigen Umgang mit der Protestbewegung im Iran.
Er plädierte für eine zweijährige, auch militärische Kraftanstrengung, der dann der Abzug folgen müsse. Diese kurze Frist würde die afghanischen Verbündeten dazu zwingen, mit den eigenen militärischen Anstrengungen endlich Ernst zu machen. Um diese beiden Pole der Kontroverse gruppieren sich in den vergangenen Tagen diverse deutsche Politiker und Militärs.
Alle drei vorgeschlagenen Termine haben keinerlei sachliche und logische Stringenz. Es fehlt jede Begründung dafür, warum gerade diese und nicht irgendeine andere Zeitspanne für die militärische Präsenz notwendig sind. Die Termine sind allesamt willkürlich gewählt und ihr einziges Ziel besteht in dem Versuch, auf emotionale Haltungen in der Bevölkerung Einfluss zu nehmen.
Die Prognose des Briten Richards bewegt sich in der Tradition vom Mutterland weit entfernter, lang andauernder Kolonialkriege und "Befriedungsaktionen". Er setzt darauf, dass es in dieser Denktradition nie einen wirklich tiefgreifenden Bruch gegeben hat, sie also weiterhin wirksam bleibt. Jungs fünf bis zehn Jahre versuchen sich einem Erwartungshorizont anzuschließen, der im Bereich der gegenwärtigen Generation spielt und einen scheinbar rationalen Handlungsrahmen bereitstellt. Damit wird eine fortdauernde Einflußnahme der jetzigen Politikträger und der Öffentlichkeit suggerriert.
Das aktuelle Kriegsziel lautet nach Jung "Stabilität" in Afghanistan. Aber was heißt Stabilität, was sind ihre notwendigen Bestandteile, bezieht sie sich allein auf Afghanistan oder die Region? Hierüber wird bei Jung keinerlei Aussage getroffen.
Die zwei Jahre von Rühe schließlich postulieren das Kriegsziel "Stabilität" nicht mehr als Voraussetzung des Abzugs. Die Intervention in Afghanistan analysiert er als "Desaster", Jungs Terminierung bezeichnet er als "Albtraum". Eine letzte, auch militärische Anstrengung und dann ist Schluss. Die Frist Rühes dient, bei Licht besehen, lediglich als ein Feigenblatt, um den Militärs die Abzugsforderung erträglich zu machen.
Die Kontroverse über die Dauer der Intervention hängt eng mit einer weiteren zusammen, ob nämlich der Militäreinsatz als Krieg zu bezeichnen sei. Lange Zeit versuchten Jung und sein Vorgänger Struck die Bundeswehr als eine Art von bewaffneter Entwicklungshelferin hinzustellen. Der umfassende zivile Aufbau wurde zum eigentlichen Rechtfertigungsgrund, die Militäraktionen der Deutschen wurden als reine Verteidigungsaktionen dargestellt und offiziell klein gehalten.
Diese Propaganda erwies sich lange als wirkungsvoll. Jetzt, wo der Charakter des Krieges auch in der deutschen Operationszone offensichtlich wird, verfängt sie nicht mehr. In dem Maße, in dem das Verteidigungsminsterium wieder die "klassischen" Elemente der Kriegsführung sichtbar werden lässt - töten und getötet werden - unterliegt sie einem besonderen Begründungszwang gegenüber der Gesellschaft.
Postheroische Gesellschaft
Dass Zivilisten der Gegenseite bei Angriffen aus der Luft sterben, wurde auch in Deutschland, wenngleich widerwillig, hingenommen. Aber für den Tod der eigenen Leute auf dem Schlachtfeld müssen Gründe dargelegt werden, die ein überragendes deutsches Sicherheitsinteresse nachweisen. Zu diesen Rechtfertigungsgründen gehört das Versprechen, die eigenen Opfer zu minimieren. Daher die überragende Bedeutung, die der zeitlichen Begrenzung des Einsatzes zukommt. Und die Schwierigkeit, militärische Operationen zu begründen, deren Dauer (fünf, zehn oder mehr Jahre) nicht absehbar ist.
Die Deutschen leben in einer postheroischen Gesellschaft. Die antimilitaristischen Lehren zweier Weltkriege sind, wie Herfried Münkler es genannt hat, "als politischer Lernprozess abgespeichert". Münkler hält die Resultate dieser Speicherung für unumkehrbar. Ziviler Aufbau und Entwicklungshilfe erscheinen in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, auch wenn sie langfristig angelegt sind, als unterstützungswürdig und außerdem als das einzig vernünftige Fazit aus zwei von Deutschland verschuldeten Katastrophen. Ein Krieg von langer Dauer ist mit dieser kollektiven psychischen Disposition kaum vereinbar.
Das Hauptargument der Anhänger des Krieges langer Dauer besteht jetzt darin, auf die vernichtenden Folgen für die gesamte Region hinzuweisen, die ein vorzeitiger Abzug "des Westens" aus Afghanistan nach sich ziehen würde. Aber dieses Argument dient mit den Worten des grünen Politikers Nachtwey dazu, den Abzug "auf den St. Nimmerleinstag zu vertagen".
Denn kein noch so weit herausgeschobener Termin kann die Stabilisierung des Landes wahrscheinlicher machen. Gegenüber dieser Perspektive gewinnt ein kurzfristiger Abzugstermin, wenn er von einer zivilen Umorientierung der Hilfe begleitet wird, an Plausibilität.
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