Debatte Bundespräsident: Wir sollten Köhler erlösen
Das Verhalten Horst Köhlers wirkt unsouverän. Vielleicht sollte die aktuelle Debatte ein Anlass sein, über die Sinnhaftigkeit seines Amtes neu nachzudenken.
Der Präsident lügt. "Ich entscheide selbst, wann ich mich zu Wort melde", sagt Horst Köhler in seinem ersten Interview seit langem. Er gewährte es, nachdem so ziemlich alle Medien sein "dröhnendes Schweigen" kritisiert hatten. Die Opposition verlangte, das Staatsoberhaupt solle endlich mal Schwarz-Gelb kritisieren, die Konstellation, die ihn ins Amt gebracht hatte. Und was macht Köhler? Er kritisiert Schwarz-Gelb. Kurzum: Das Verhalten des Ersatzsouveräns wirkt ein wenig unsouverän.
Dabei sind die Vorschläge, die er in dem Gespräch unterbreitet, alles in allem recht vernünftig. Er entfaltet die Theorie bürgerlichen Regierens, die sich von der christlich-liberalen Praxis so eklatant unterscheidet: weniger Schulden, mehr Bildung und dafür notfalls auch höhere Steuern. Wie man so etwas konkret anstellt, sagt Köhler allerdings nicht. Wie man etwa die Bildung reformiert mit 16 renitenten Ministerpräsidenten und einer Bevölkerung, die, wie zuletzt in Hamburg, gegen jede Veränderung aufbegehrt.
Weil der außerparlamentarische Opponent im Schloss Bellevue seine Forderungen nicht konkret umsetzen muss, wirken seine Appelle immer auch ein bisschen billig. Er begibt sich in den parteipolitischen Streit, ohne darin wirklich etwas ausrichten zu können. Er pflegt den Gestus des Unangepassten und folgt meist doch der Mehrheitsmeinung.
Die alten Republiken wie die Schweiz, die Vereinigten Staaten oder auch die Freien Reichsstädte im früheren Deutschland kannten die Trennung von Staatsoberhaupt und Regierungschef nicht. Der Präsident als Ersatzmonarch ist eine Erfindung der verspäteten Demokratien. Vielleicht sollte die aktuelle Debatte ein Anlass sein, über die Sinnhaftigkeit dieser Erfindung neu nachzudenken - und den Mann im Schloss von seinem Unglück zu erlösen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße