Debatte Biopiraterie: Wohlfeile Machtpolitik
Die Industrieländer bekämpfen die Produktpiraterie seitens der ärmeren Länder scharf. Die Artenvielfalt dieser Länder mithilfe des Patentrechts auszubeuten, aber ist legitim.
Der Wald stirbt. Stückchenweise. Alle zwei Sekunden gibt es ein fußballfeldgroßes Stück Urwald weniger auf der Erde. Gartenmöbel, Fenster, Papier - die zahlungskräftige Nachfrage vorwiegend der Mittel- und Oberschicht aus den Industrieländern nach Holz und Holzprodukten ist der Motor der Kettensägen. In Kanada, Finnland und Russland, in Brasilien, Malaysia und im Kongo etwa werden die letzten Urwälder gerodet. In Indonesien muss der Urwald Plantagen weichen, die Palmöl für unsere Seifen, Margarinen und als Beimischung für sogenannten Biosprit liefern. Erst vor wenigen Wochen bewilligte die Weltbank - mit Unterstützung der Bundesregierung - einen 300-Millionen-Dollar-Kredit für die Erdgasförderung in Camisea im peruanischen Amazonasgebiet: Das Todesurteil für ein weiteres Stück Regenwald.
Diese Probleme lösen wollen die 5.000 Teilnehmenden, die vom 19. bis 30. Mai in Bonn zur UN-Konferenz über die biologische Vielfalt erwartet werden. Deren selbst gesetztes Ziel hört sich recht bescheiden an: Bis 2010 soll der rapide Verlust an biologischer Vielfalt gebremst werden. Aber auch dieses Ziel wird ohne zusätzliche Anstrengungen nicht zu erreichen sein.
Gefragt sind zunächst die Staaten, die überhaupt noch Urwald haben, den sie schützen können. Der Vorwurf ist, dass sie dies nicht immer mit übertriebenem Eifer tun. "Paper Parks" heißt das Schlagwort für Naturschutzgebiete, die nur auf dem Papier existieren. Will man daran etwas ändern, braucht es mehr Geld. Das, so fordern die Entwicklungsländer, müsse von den reichen Industrieländern kommen. Die wiederum verweisen auf notwendige Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer. Letztere kontern, dies sei wohlfeil, schließlich habe man die eigenen Urwälder bereits mehr oder weniger komplett der Industrialisierung geopfert.
Solche Kontroversen machen deutlich, dass sich hinter der gemeinsamen Sorge um die biologische Vielfalt knallharte ökonomische Interessen verstecken. Dabei stellen sich auch Fragen globaler Gerechtigkeit. Wer muss welchen Beitrag leisten? Die Konvention über die biologische Vielfalt selbst sieht die Staaten in der Verantwortung für den Schutz ihrer biologischen Vielfalt. Allerdings erkennt sie gleichzeitig an, dass für Entwicklungsländer neue und zusätzliche Finanzmittel erforderlich sind. Sind also in erster Linie die Länder gefordert, auf deren Territorium sich die biologische Vielfalt befindet, oder ist deren Schutz und Erhaltung eine gemeinsame und internationale Aufgabe, so dass wie in einem Solidarsystem jeder nach seinen Möglichkeiten beitragen würde?
Besonders drängend wird diese Frage von Ecuador formuliert. Der Andenstaat ist bereit, seine Ölvorkommen in der Erde zu lassen und den Wald zu schonen - wenn, ja, wenn die internationale Gemeinschaft dafür zahlt. Rund 350 Millionen US-Dollar per annum, dreißig Jahre lang, so viel will Ecuador haben. Schließlich, so heißt es, sei es unser aller Wald und unser aller Klima. Von daher, so das Argument, hätten alle die Last zu tragen, wenn die Ecuadorianer auf Öleinnahmen verzichten würden.
Dass Fragen des Naturschutzes schnell zu einem Problem globaler Gerechtigkeit werden, zeigt sich auch im Kampf gegen Biopiraterie. Große Unternehmen, meistens aus Industrieländern, nutzen die biologische Vielfalt der Entwicklungsländer und das traditionelle Wissen indigener Völker als Steinbruch zur Entwicklung neuer Medikamente, Kosmetika und Konsumgüter. Zwar sieht die Konvention über die biologische Vielfalt vor, dass eine solche Nutzung mit einer Gewinnbeteiligung einhergehen muss, auch, dass ihr eine informierte Zustimmung vorhergehen muss - aber wen kümmert das in den Industrieländern schon? Dort verteidigt man das Patentrecht, mit dessen Hilfe sich die Konzerne ein Monopol auf die Nutzung der Wirkstoffe und Gene der biologischen Vielfalt und des traditionellen Wissens sichern. Kurzum: Die Industrieländer weigern sich, die in der Konvention verankerte Souveränität der Entwicklungsländer über ihre biologische Vielfalt in der Praxis anzuerkennen.
Ein ähnliches Schicksal droht den Rechten indigener Völker: Noch vor einem halben Jahr lobten Nichtregierungsorganisationen Deutschland und die EU (im Gegensatz zu den Bad Guys USA, Kanada, Australien und Neuseeland) dafür, bei den Vereinten Nationen für die Erklärung über die Rechte indigener Völker gestimmt und damit deren souveräne Rechte über ihr traditionelles Wissen und die biologische Vielfalt auf ihren Territorien anerkannt zu haben. Jetzt aber fordert die EU mit Hilfe von Minimumstandards eine Art Recht auf Zugang und Nutzung.
In diesem Zusammenhang müssen sich die Regierungen der Industrieländer, darunter die Bundesregierung, auch den Vorwurf der Doppelzüngigkeit gefallen lassen. Während sie, wie im letzten Jahr beim G-8-Gipfel in Heiligendamm, Produktpiraterie der Entwicklungsländer beklagen, bleiben sie bei der Biopiraterie der eigenen Unternehmen untätig. Mehr noch: Während sie auf der einen Seite die Interessen der Entwicklungsländer im Kampf gegen Biopiraterie, wenn überhaupt, dann nur sehr zögerlich zur Kenntnis nehmen, verlangen sie auf der anderen Seite sofortiges und entschlossenes Handeln beim Schutz der Wälder, der Meere, der Bergregionen, wobei sie dies, wenn ihre ökonomische Interessenlage das erfordert, durchaus selbst untergraben.
Hinzu kommt, dass auch die EU nur eingeschränkt als leuchtendes Vorbild taugt. Beispiel Schutzgebiete: Zwar ist in der EU manches besser als woanders, dennoch zeigt Natura 2000, das europäische Schutzgebietsnetz, ähnliche Defizite auf, wie sie die die EU mit Blick auf andere Teile der Welt beklagt: Der tatsächliche Schutz ist oftmals mangelhaft, ein Managementplan nicht vorgesehen, die Bürgerbeteiligung ist unzureichend. Überdies werden für Natura 2000 nur etwa 20 Prozent der erforderlichen Mittel bereitgestellt. Wenn, so fragt man sich in Entwicklungsländern, die reiche EU ihren eigenen Forderungen nicht genügen kann, warum sollen dann ausgerechnet die armen Länder zum Vorreiter werden?
Fazit: Die Sache mit der Erhaltung der biologischen Vielfalt geht weit über das hinaus, was man gemeinhin unter Naturschutz versteht. Erfolgreich wird die Konferenz nur sein können, wenn die gemeinsame Sorge um biologische Vielfalt in den Kontext globaler Gerechtigkeit gestellt wird. Es macht keinen Sinn, wie die EU darüber zu jammern, dass Brasilien jeden Fortschritt beim Arbeitsprogramm der Konvention zu Schutzgebieten verweigert, wenn die Europäer gleichzeitig die Positionen Brasiliens zum internationalen Patentrecht beständig ignorieren.
Europa muss sich an die eigene Nase fassen, beim Patentrecht, bei der Finanzierung von Schutzgebieten oder der Nachfrage nach billigem Holz und anderen Rohstoffen. Sonst tut sich eine gewaltige Glaubwürdigkeitslücke auf. Diese schließt man bekanntlich nicht auf internationalen Konferenzen.
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