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Debatte "Biografiedesign"Wunsch nach dem gestylten Leben

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Auslandsschuljahre, Freiwilligendienste, Praktika: Es gibt einen Markt für "Lebenslauf-Design", der Karrierechancen verbessern soll. Das funktioniert nur bedingt. Zum Glück.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist taz-Redakteurin im Ressort Inland.

In einer Debatte im Netz wettert Chris H. über die jungen Freiwilligen, die nach dem Abitur ein halbes oder ganzes Jahr in Afrika oder Südamerika unentgeltlich in der Entwicklungshilfe mitarbeiten. Diese "romantischen Weltenretter" hätten "von einem Freiwilligen Sozialen Jahr längst Abstand" genommen, wenn sie "in Ostpolen auf einer Schweinefarm den Bauern bei Ernte und Kinderbetreuung helfen würden. Denn so was ist nicht chic." Die jungen Leute helfen lieber dort aus, wo es exotisch und ein bisschen slummig ist, so die Unterstellung.

Der Streit um die Freiwilligenarbeit, den die Süddeutsche Zeitung kürzlich anheizte, indem sie diese Dienste als "Egotrips ins Elend" brandmarkte, ist nur ein Symptom eines Trends auf dem Bildungsmarkt. Dort wachsen die Angebote, sich schon von klein an zu profilieren und durch Schulwahl, Auslandsaufenthalte und außerschulische Aktivitäten einen Hauch des Besonderen, vielleicht sogar ein Flair von "Elite" zu gewinnen.

So ist der Anteil der SchülerInnen an Privatschulen in Deutschland in den vergangenen 16 Jahren um 50 Prozent gestiegen. Ein Auslandsschuljahr gilt heute mehr denn je als biografisches Plus. Laut "ASF", dem größten und ältesten Verein für interkulturelle Begegnungen auf dem Markt, hat sich die Zahl der von ihm ins Ausland vermittelten SchülerInnen in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht.

Die Bundesregierung rief unlängst das Programm "Weltwärts" ins Leben, in dessen Rahmen sich 10.000 Jugendliche an freiwilligen Diensten in der Entwicklungshilfe in Afrika, Lateinamerika, Osteuropa oder Asien beteiligen können. Für StudentInnen gilt ohnehin schon länger, dass ein Studium erst richtig etwas wert ist, wenn es Auslandssemester und mehrere Praktika in den Semesterferien umfasst.

Dieser Auffächerung eines Bildungsmarktes wohnt eine Ambivalenz inne. Einerseits eröffnet dies zweifelsohne tolle Möglichkeiten. Wer ein halbes Jahr in England zur Schule geht, hat hinterher keine Probleme mehr mit dieser Sprache und verfügt außerdem über die Gewissheit, in einer neuen Umgebung stets Kontakte knüpfen zu können. Wer in Peru monatelang in einer Indiofamilie gelebt hat, kann sich auch an ihm oder ihr sehr fremde Milieus anpassen. Wer in einer deutsch-amerikanischen Schule in der "leadership-class" erlebt hat, dass Führung eigentlich nichts anderes ist als die zeitweise Übernahme von Entscheidung und Verantwortung, hat ein gelasseneres Verhältnis zu Hierarchien. Jugendliche, die solche Erfahrungen machen wollen und die Möglichkeiten dazu haben, sollten dies auch nutzen.

Aber es gibt auch eine beklemmende Seite dieser Bildungsangebote. Wer einmal Eltern auf Informationsveranstaltungen erlebt hat, in denen für ausländische Internate geworben wird, spürt genau, dass es hier noch um etwas anderes geht als nur um Bildung. Dem Nachwuchs sollen biografische Elemente mitgegeben werden, durch die er einen Hauch von Elite bekommt, sich von den "Stubenhockern", abgrenzen kann. "Macht sich im Lebenslauf gut", ist oft ein wichtiges Zusatzargument für einen Auslandsaufenthalt.

Verrückterweise wollen oft gerade jene Eltern solch "Lebenslauf-Design" für ihren Nachwuchs, die in ihrer Jugend viel Zeit verschwendeten in exotischen Studiensemestern, auf Hippiereisen oder in brotlosen Theaterprojekten, in Aktivitäten also, die man bei Bewerbungen eher nicht so genau im Lebenslauf auflistet, künden sie doch von Zeitverschwendung. Genau das aber soll der Nachwuchs nicht mehr tun: Lebenszeit vergeuden.

Absurderweise wird damit die Jugendzeit weiter verknappt. Ohnehin gehen alle Gymnasiasten bald nur noch 12 statt 13 Jahre bis zum Abitur zur Schule. Dabei werden die Menschen immer älter, und wir alle haben immer mehr Lebenszeit zur Verfügung.

Das Lebenslauf-Styling soll aber schon früh klar erkennen lassen, dass hier zielbewusst an der Persönlichkeit, an Welterfahrung und Verantwortungsbewusstsein gearbeitet wurde, an einem traditionell bürgerlichen "Habitus" also. Der Sozialforscher Michael Hartmann stellt fest, dass wir hierzulande kaum über Elitebildungsinstitutionen wie in Großbritannien und den USA verfügen und das genau deswegen ein großbürgerlich wirkender "Habitus" das entscheidende Merkmal ist, das Distinktion signalisieren soll.

Im Unterschied zu England und den USA, wo renommierte Universitäten wie Cambridge, Oxford, Princeton, Harvard oder Yale ihren StudentInnen tatsächlich eine Art "Elitestatus" garantieren, herrscht in Deutschland vor allem Verwirrung darüber, was "Elite" nun eigentlich ist. Der Bundesregierung beziehungsweise ihrer Exzellenzinitiative etwa gilt inzwischen die früher als Massenuniversität geschmähte Berliner Freie Universität als "Elite-Universität".

Bislang entscheidet der Geldbeutel der Eltern hierzulande noch eingeschränkt über spätere Karrierechancen. Privatschulen in Deutschland beispielsweise gelten nicht zu Unrecht als Bildungsstätten, wo viele Kinder betuchter Eltern lernen, die es auf öffentlichen Gymnasien nicht schafften. Internate sind ein Sammelbecken für Scheidungskinder. Die Autorin Julia Friedrich hat in ihrem Buch: "Gestatten: Elite" beschrieben, dass auch teure Privatuniversitäten wie etwa die EBS in Oestrich-Winkel keineswegs nur besonders begabte Studenten aufnehmen, sondern überproportional oft den Nachwuchs einkommensstarker Eltern.

Wenn aber nicht klar ist, wie der eigene familiäre Status zu sichern ist, dann geht es beim Stylen der Biografie des Nachwuchses vielleicht auch um die Etablierung neuer Codes für eine Mittelschicht, die den Abstieg fürchtet. Gleichzeitig garantiert aber die institutionalisierte Charakterbildung keine starke Persönlichkeit. Und der Bildungswettlauf verschärft sich. "Wenn alle auf die Stühle steigen, fällt man nicht mehr auf, wenn man selbst oben steht", sagt eine 17-jährige Berliner Gymnasiastin.

Gegen die Ökonomisierung der Lebenszeit rebellieren viele Jüngere auf ihre Weise. So spielt etwa bei allen Aktivitäten im Web 2.0, beim Bloggen und Chatten die Herkunft und Biografie keine Rolle. Kann man ja alles erfinden. Das Web ist in diesem Sinne strikt antielitär.

Wer Lebenszeit möglichst nicht karrierefördernd verwenden will, kann das zudem leicht durch Computerspiele tun. Wer etwa beim Computerspiel "World of Warcraft" Level 70 erreicht hat, oft nach langen Bemühungen, wird das nicht selbstlobend in der Bewerbung für irgendein Praktikum erwähnen. Vielleicht liegt im extensiven Computerspiel die entscheidende Verweigerung jedes "Biografiedesigns", jeder als Druck empfundenen Vorbestimmung der Lebenszeit.

Gerade die von bildungsbürgerlichen Eltern vielgeschmähten Computerspiele wären dann eine Art Selbstfindungsprogramm der Jüngeren gegen den Abgrenzungsstress in genau diesen Familien. Darüber lohnt sich zumindest nachzudenken.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

2 Kommentare

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  • J
    Jakob

    Und dabei wird kein Einziger ausgelassen. Es gibt bei aller Kritik keine Ausnahmen, keinen Freiwilligen, der ein Weltwaertsjahr als Chance sieht sich mit einer fremden Kultur auseinanderzusetzen, sie zu erlernen und zu spüren, wie es vom heimelichen Sofa vor dem eigenen Laptop (als Journalist vielleicht) möglich ist.

     

    Aber diese Freiwilligen gibt es. Jene die versuchen wollen sich einzubringen und zu helfen, genau da wo sie gebraucht und eingesetzt werden, ohne dabei den elitären, weißen Großkotz zu spielen.

     

    Einmal abgesehen von der Arbeit des Freiwilligen: Hat sich irgendeiner der Kritiker am Weltwaertsprogramm mal überlegt, wieviel Wert eine interkulturelle Freundschaft zwischen zwei zunächst Fremden bedeuten kann?

  • MF
    Max Frömling

    Ginge es nach den lautesten all dieser kritischen Stimmen, wären alle jungen Menschen, die in den letzten Monaten aufgebrochen sind, um sich in einem Sozial- oder Umweltprojekt zu engagieren, ausnahmslos unqualifizierte und inkompetente, nutzlose und verkappte Entwicklungshelfer, karrieregeile, pragmatische Opportunisten, naive und unideologische Gutmenschen, die unpolitisch und unentschieden durch die Welt wuseln und sich mit Steuergeldern des Bundes auf Abenteuerurlaub begeben, um ihren Lebenslauf zu stylen, sich als Elite zu beweisen, sich eine bürgerliche Karriere aufzubauen.

     

    Ich bin selbst weltwärts-Freiwilliger und habe mich auf meiner Internetseite mit der Kritik am Programm und Stimmen aus diesem TAZ-Artikel auseinandergesetzt.

     

    http://www.brasilienblog.com/max/weltwaerts-kritik/