Debatte Bildungsbewegung: Bachelor geht schon baden
Der Streik der Studierenden und Schüler war erfolgreich. Der Kampf um Bildung muss weitergehen. Ein Resümee von Beteiligten.
D ie dezentrale demokratische Bildungsstreikbewegung hat die Bildungsfrage auf die innenpolitische Tagesordnung gesetzt. So musste Bildungsministerin Anette Schavan vergangenen Dienstag auf den Druck der Bewegung reagieren und hatte Bildungsstreikende, Wissenschaftsorganisationen, Hochschulrektoren und andere zu einem Gespräch eingeladen.
Peter Grottian (Universitätsprofessor, Berlin)
Michael Kolain (Student, Heidelberg)
Sebastian Zimmermann (Student, Heidelberg)
Hanna Eberle (Schülerin, Heidelberg)
Alle vier Autoren waren in Bündnissen während des Bildungsstreiks Mitte Juni aktiv.
Zwar verstecken sich die Kultusminister immer noch angsthäsig hinter ihren Finanzministern. Aber Schavan ließ die Bereitschaft erkennen, sich zumindest mit einigen Streikzielen der Protestierenden ernsthaft auseinanderzusetzen.
Die Dynamik, die die Bildungsstreikbewegung entwickelte, hatte selbst die Initiatorinnen und Initiatoren überrascht: 270.000 Protestierende auf den Straßen, die größte unabhängige Bildungsbewegung seit Jahrzehnten; demokratisch angelegt und durch eine Klammer gemeinsamer Forderungen für die öffentlichen Botschaften zusammengehalten; nicht herausragende Wortführer, sondern lokale Bündnisse prägten das Bild von der Bewegung. Es war ein Streik der vielen tausend Gesichter.
Basisdemokratie war ein flächendeckendes Konzept, das bewusst auf die Großdemo verzichtete. Die gute Balance von gängigen Protestformen (Demos, Versammlungen, Debatten) und Aktionen des zivilen Ungehorsams (Instituts- und Rektoratsbesetzungen, Straßenblockaden, Belagerungen, symbolische Banküberfälle) hat den streikenden Studierenden und Schülern überwiegend Sympathie in der Öffentlichkeit und den Medien eingetragen. Auch Gewerkschaften, soziale Gruppen, einige Rektoren und Präsidenten, Hochschullehrer, akademischer Mittelbau und Lehrer unterstützten den Streik.
Dieser hat den schon länger schwelenden Unmut über die miserablen Zustände an den Schulen und Hochschulen - die Kitas nicht zu vergessen - zum Vorschein gebracht. An den Bildungseinrichtungen wurden fruchtbare und kontroverse Debatten über grundlegende Fragen und Perspektiven des Bildungssystems geführt. Vielerorts wurde eine Diskussion über konkrete Veränderungen angestoßen. Dieser erste Erfolg wäre nicht ohne ein breites Bündnis möglich geworden.
Die einzige Gruppe, die sich bisher auffällig bedeckt hält, ist die der Politiker. Neben Respektsbekundungen der Grünen und der Linkspartei fiel die SPD durch nahezu komplette Sprachlosigkeit auf. Dass die CDU den Bildungsstreik als linke, instrumentalisierte Wahlkampagne denunziert, zeigt jenseits des lächerlichen "Bildungsgipfels" einmal mehr, dass die Kanzlerin und ihre CDU/CSU wenig von den Problemen in Schulen und Hochschulen verstanden haben.
Auch die herablassende Art Schavans, den Bildungsstreik zum Teil als "gestrig" zu bezeichnen, weist darauf hin, dass die Bildungsministerin eher in den Forschungs- und Eliteküchen zu Hause ist und wenig über die konkreten Probleme der Schüler und Studierenden weiß. Die FDP wiederum, einstmals eine Bildungspartei, konnte im jetzigen Bildungsstreik nur "anarchistische Gewalt" erkennen.
Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) reagierte zunächst kopflos. Ein Diskussionsgesuch der Studierenden und Schüler anlässlich ihrer Konferenz in Berlin lehnte sie zunächst ab. Als der öffentliche Druck größer wurde, bot sie ein knappes Gespräch mit vier Kultusministern an. Das Gespräch war sachlich, kurz und man verständigte sich auf eine zu vereinbarende Kommunikation. Immerhin!
Insgesamt fällt auf, wie schwach die Verteidigung der bisherigen Bildungspolitik ist. Kein Politiker von Rang, kein Rektor, kein Professor konnte den Schmalspur-Bachelor noch ernsthaft verteidigen. Die glühendsten Verfechter der Bachelor- und Masterstudiengänge sind ganz leise geworden. Sie sehen offenbar, was damit angerichtet wurde. Kurzum: Der Bachelor in seiner bisherigen Form hat keinen öffentlichen Rückhalt mehr. Kaum ein Professor wird noch mit Überzeugung die Hand für einen sechssemestrigen, verschulten Bachelor heben, wenn eine Prüfungsordnung verabschiedet wird.
Die Hochschulen stehen nach dem Bildungsstreik vor einer Revision, die im Rahmen des Bologna-Prozesses erlaubt und angemessen ist. Ob die Landesregierungen die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen werden, steht allerdings in den Sternen. Tun sie es nicht, könnte dies letztlich dazu führen, dass die bisherigen Ausreden von Sachzwanglogik bis Nichtzuständigkeit weiter benutzt werden und das Desaster rund um die Hochschulleitungen, Ministerien und angeblich verpflichtenden "Bologna-Beschlüssen" kein Ende hat.
Die grundsätzliche Kritik am System Bologna wurde in der Öffentlichkeit kaum aufgegriffen. Dabei wird Bildung im Rahmen der Lissabon-Strategie auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit reduziert und im Rahmen des Gats-Abkommens nur noch als Dienstleistung aufgefasst.
Europa soll zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt" werden. Und beim Bologna-Prozess stehen "arbeitsmarktrelevante Qualifikationen" im Vordergrund.
Studierende und Schüler hingegen fordern eine Bildung, die demokratisch organisiert ist und den Menschen zu kritischem Urteilen befähigt. Dieser grundsätzliche Konflikt über das Verständnis von Bildung bleibt zwischen den Verantwortlichen in der Politik und den Streikenden unausgefochten. Der Bildungsstreik hat zwar Aufmerksamkeit erregt, doch die weltweite Ökonomisierung von Bildung schreitet weiter voran.
Was also folgt aus dem Bildungsstreik? Nach dem großen Mobilisierungserfolg werden sich die Schüler und Studierenden in den nächsten Wochen auf weitere gemeinsame Proteste verständigen. Denn eins ist klar: 28 Milliarden Euro durch das Konjunkturpaket und den Bund-Länder-Pakt für Bildung investieren, aber nichts für Schüler und Studierende tun, das geht jetzt nicht mehr.
Der gesellschaftspolitische Kampfum Bildung hat eine Chance - subito! Ein europäischer Bildungsstreik 2011 könnte eine vielversprechende Perspektive sein.
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