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Debatte ArmutGebot der Gerechtigkeit

Kommentar von Gerhard Schick

Mehr Bildung und höhere Transfers allein werden die soziale Schere nicht schließen. Es braucht mehr, um Umverteilung nach oben zu stoppen.

Die soziale Schere öffnet sich immer weiter, die Debatte darüber kommt langsam in Fahrt. Bild: dapd

D ie Zahlen könnten eindeutiger kaum sein: In den 1990er Jahren haben die Mitglieder der obersten 10 Prozent unserer Gesellschaft rund 6-mal so viel verdient wie die untersten 10 Prozent. Heute liegt dieses Verhältnis bei 8 zu 1. In Deutschland noch stärker konzentriert sind die Vermögen: In den letzten zehn Jahren ist nur der Vermögensanteil der oberen 10 Prozent der Bevölkerung gewachsen, und zwar auf zwei Drittel des Gesamtvermögens.

Die gesellschaftliche Debatte über Reaktionen auf die sich immer weiter öffnende soziale Schwere gewinnt nun an Fahrt, doch zu wenig werden dabei die Veränderungen in der Wirtschaft berücksichtigt.

Sehr präsent in der Diskussion ist die Tatsache, dass in den letzten Jahrzehnten die ausgleichende Wirkung des deutschen Steuersystems reduziert wurde. Diese Entwicklung kann und muss man korrigieren. Das ist auch die finanzielle Voraussetzung dafür, über öffentliche Güter und Transfers gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen zu können.

Bild: privat
Gerhard Schick

ist Volkswirt und finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Die Partei diskutiert seit gestern in Bielefeld auf einem Kongress unter der Überschrift „Alles Inklusive!“ über ihre Sozialpolitik.

Eine zweite, weniger beachtete Ursache der Ungleichheit liegt allerdings darin, dass sich die Markteinkommen selbst auseinanderentwickelt haben. Selbst bei konstanter ausgleichender Wirkung des Abgaben- und Transfersystems hätte es also eine Zunahme der Ungleichheit gegeben.

Druck auf die Löhne

In vielen Untersuchungen wurde die Tendenz zur sozialen Vererbung im deutschen Bildungssystem diagnostiziert. In der Korrektur dieses Phänomens muss deshalb ein politischer Schwerpunkt liegen.

Doch die Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte kann den zu beobachtenden deutlichen Zuwachs an Ungleichheit nicht allein erklären. Hier lohnt ein Blick auf drei miteinander verbundene Entwicklungen in der Wirtschaft.

Die erste ist die Europäisierung und Globalisierung, die – wenig überraschend – einen Druck auf die Löhne in bestimmten Sektoren ausgeübt hat. Sie geht einher mit einer Machtverschiebung am Arbeitsmarkt: In den letzten zehn Jahren ist der Anteil der Löhne am Gesamteinkommen in Deutschland um 8 Prozent gesunken. Die Gewinn- und Vermögenseinkommen sind innerhalb dieses Zeitraums also entsprechend gestiegen. Da Kapitaleinnahmen deutlich ungleicher verteilt sind als die Löhne der abhängig Beschäftigten, sorgt diese Entwicklung für eine Zunahme der Einkommensungleichheit. Wir brauchen deshalb einen gesetzlichen Mindestlohn, aber auch die Stärkung der Verhandlungsmacht der ArbeitnehmerInnen. Hinzukommen muss die Sicherstellung sozialer Mindeststandards im internationalen Handel.

Kostgänger der Realwirtschaft

Die zweite Entwicklung besteht in dem enormen Bedeutungszuwachs des Finanzsektors: Wenn der Finanzsektor zu groß wird, wird er vom Dienstleister der Realwirtschaft zum Kostgänger. Ein immer höherer Anteil der Gewinne einer Volkswirtschaft fällt dann bei wenigen Finanzinstituten an.

So stieg der Anteil der Finanzbranche an den gesamten Unternehmensgewinnen in den USA von etwa 10 Prozent in den 1980er Jahren auf über 40 Prozent, obwohl nicht einmal 5 Prozent der Erwerbstätigen in der Finanzbranche arbeiten. Die Deregulierung der Finanzmärkte hat die Entstehung einer Kreditblase ermöglicht. Dieser steht ein entsprechender Aufbau von Geldvermögen gegenüber, weil jeder Schuldtitel des einen notwendigerweise ein Vermögenswert eines anderen ist. So sind Finanzkrisen zugleich Schulden- und Vermögenskrisen – und deswegen immer auch ursächlich verbunden mit einer Konzentration von Vermögen.

Bürgerinnen und Bürger verlieren jährlich wegen schlechter Regulierung des Finanzmarkts 20 bis 30 Milliarden Euro ihrer Ersparnisse. Menschen aus der Mittelschicht, denen eine Schrottimmobilie aufgeschwatzt wurde, geraten in die Überschuldung. Doch Finanzinstitute haben an diesen Fällen verdient. So wirken entfesselte Finanzmärkte wie eine Umverteilungsmaschine – von unten nach oben. Bildungsausgaben und Transfers werden die Zunahme der Ungleichheit nur verhindern können, wenn auch diese Umverteilungsmaschine gestoppt wird.

Die dritte Entwicklung ist eine in vielen Branchen zu beobachtende Marktkonzentration bei wenigen Unternehmen. Wichtige Märkte wie Wirtschaftsprüfung, Stromversorgung oder Pharma werden von wenigen großen Unternehmen dominiert. Machtkonzentration führt sowohl zu ungerechtfertigten Zusatzgewinnen als auch zu einem überproportionalen Einfluss auf die Politik: In vielen Branchen ist es leichter, über eine Gesetzesänderung die Gewinne zu erhöhen als durch zusätzliche Leistung im Sinne des Kunden.

Strengere Regeln für Lobbyisten

Besonders krass stellt es sich wiederum bei den Banken dar, die „too big to fail“ sind. Aufgrund ihrer impliziten Staatsgarantie erhalten sie ein besseres Rating und können sich günstiger refinanzieren als kleinere Wettbewerber. Laut einer Studie der Bank of England werden so weltweit die 28 größten Banken mit jährlich 250 Milliarden Dollar subventioniert. Allein für die Deutsche Bank wird der jährliche Vorteil auf 1,6 bis 2,1 Milliarden Euro geschätzt.

Zum Vergleich: Die Erbschaftsteuer korrigiert die Ungleichheit in einer Größenordnung von etwa 4 Milliarden Euro jährlich. Ich sehe deshalb eine besondere Aufgabe der Wirtschaftspolitik in der Korrektur der Verteilungsverhältnisse. Wir brauchen eine starke Wettbewerbspolitik, die Marktkonzentration über Fusionskontrolle und Entflechtungsgesetz verhindert, aber auch strengere Regeln gegen Lobbyeinfluss und Sonderrenditen.

Die Verringerung von Ungleichheit ist bei alledem nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit. Sie ist, wie selbst vielen Vermögenden inzwischen klar wird, auch notwendige Voraussetzung einer stabilen Wirtschaft. Denn wenn die Schuldner ihre Kredite nicht mehr bedienen können, wenn der Renditeanspruch des Finanzsektors auf die Realwirtschaft zu groß wird, geraten die Vermögenswerte ins Rutschen.

Wollen wir eine nächste Finanzkrise verhindern, dann bedarf es einer Wirtschaftspolitik, die diese Effekte verhindert.

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7 Kommentare

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  • Y
    yberg

    lieber herr DR.schick unter rot/grün wurden die weichen

    für jährlich schlapp 50-70 umverteilungsmilliarden von unten nach oben gestellt.

     

    habt ihr GRÜNEN ein so kurzes gedächtnis

     

    ebenso haben die GRÜNEN den finanzmarkt mit liberalisiert und HARTZ 4 mit instaliert,die leiharbeit eingeführt und,und,und ....

     

    und nun herr DR.schick kommen Sie um die ecke ,um unsere gesellschaft gerechter zu machen

     

    im übrigen gehts nicht ums stoppen,sondern von oben muß nach unten verteilt werden über höhere sitzsteuern und internationale konzerne sollten ihre in deutschland erwirtschaftete gewinne auch hier versteuern

  • FF
    Ferdinand- Friedrich

    oben/ unten - alles Quatsch. Wenn jemad die Arschkarte gezogen hat, dann die Mitte. Weg mit der Umverteilung von der Mitte nach untern. Und ja, "unten" sind auch viele Faule anzutreffen. Und viele Ausländer. Wieso muss sich ein alter Deutscher (Renten-) Ansprüche erarbeiten, wenn ein Ausländer sofort und ohne Gegenleistung Kohle vom Steuerzahler sieht??

  • GN
    Graf Nitz

    Nur noch mal zur Erinnerung: Gerechtigkeit heisst nicht "Alle kriegen das gleiche, egal was sie können oder tun"....

  • N
    Nordwind

    Mensch Schick, welch tiefe Erkenntnisse. Und so früh.

     

    Ihre Erkenntnisse hatten schon einige wachere Menschen. Und dies als die Grünen und die ?PD noch vollständig damit beschäftigt waren durch Agenda 2010 und Hartz-IV gegen jedes Gebot der Gerechtigkeit zu verstossen. Es war doch Ihre Partei die im Verbund mit der ?PD geradezu wahnhaft deregulierte und eine System des Arbeitsmarktstalinismus aufbaute.

     

    Nimmt man Ihre Aussagen ernst dann ist Ihr Kommentar ein Eingeständnis politisch Versagens.

     

    Berücksichtigt man jedoch das Abstimmungsverhalten bzgl. des Fiskalpaktes mit seinen demokratiefeindlichen Implikationen handelt es sich wohl eher um eine der üblichen PR-Nebelkerzen.

     

    Die Wahlen kommen halt immer näher.

  • A
    aurorua

    "Die Verringerung von Ungleichheit ist bei alledem nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit. Sie ist, wie selbst vielen Vermögenden inzwischen klar wird, auch notwendige Voraussetzung einer stabilen Wirtschaft."

     

    Lieber Herr Schick,

     

    Ihr Wort in Gottes Ohr! Sonst hört ja fast keiner mehr zu.

     

    CDU/CSU/FDP/SPD/GRÜNE ein politisches neoliberales Kartell, gesteuert von Banken, Versicherungen und Konzernen ist doch nach dreissigjährigem medialem, neoliberalem Trommelfeuer und der Manipulation/Koruption durch Lobbyismus, längst taub für Maßnahmen zur Verringerung von Ungleichheit.

     

    Die LINKE verspricht zwar zumindest es besser machen zu wollen, aber wenn ca. 95% der Medien flächendeckend Tag und Nacht den roten sozialistischen alles verzehrenden Teufel an die Wand malen, werden auch die niemals eine Chance bekommen, eine längst fällige Umverteilung von OBEN nach UNTEN in Angriff zu nehmen, obwohl fast alle wissen mit CDU/CSU/FDP/SPD/GRÜNE ist der Zug längst abgefahren.

  • GK
    Grüne Klugscheißerei

    Jedenfalls steht eines fest: Da wo die Grünen regieren sind die meisten arm, die Schulen funktionieren nicht und damit ist alles gut. Besonders da die Parteibonzen mit viel Geld und satten Pensionen versorgt sind und falls sie kinder haben diese Privatschulen besuchen. Wenn Grüne solche Artikel schreiben muß man sich nur an ihre Leistung von 1998-2005 erinnern oder mal Kreuzberg besuchen wo sie seit Jahrzehnten die Bildungs- sowie Wirtschaftspolitik betreiben. Dann mag man solche Klugscheißerartikel nicht mehr lesen. Ernst nehmen sowieso nicht. Gut lief die Wirtschaft bevor sie durch Subventionswahnsinn, Schuldenmacherei und staatliche Halbplanwirtschaft zerstört wurde. Grüne produzieren wie alle linken Parteien in Deutschland nachweislich Armut, Sculden, Kriminalität und Unsoziales. Außer für sich selbst. Das kann man leicht beweisen. Zahlen und Realität waren aber nie Freunde der taz. Propaganda für die Grünen umso mehr.

  • D
    Detlev

    Die Vorschläge sind vernünftig, allerdings fördert der Staat Ungleichheit, Armut und schlechte Beschäftigung, in dem ungleiche Arbeitsverhältnisse in einem Betrieb, häufig an einem Arbeitsplatz legal sind. Das kann dazu führen, dass ein weitaus besser qualifizierter, junger Arbeitnehmer 40 bis 60 Prozent weniger verdient, als ein alter Arbeitnehmer, der eben noch direkt bei der Firma angestellt ist, während der junge Kollege bei einer ausgelagerten Firma arbeiten 'muss'.

     

    Es ist die Zeit- und Leiharbeitsbranche, die in Deutschland Armut und Ungleichheit produziert und in wenigen Jahren auch sehr schlecht-abgesicherte Rentner hervorbringen wird. Denn es hat sich nicht damit, den Mallorca-Urlaub zu streichen, wie einst Franz Müntefering vorschlug. Es braucht eben einen Stundenlohn von mindestens 9,50 EURO, um überhaupt niedrige Renten zu stabilisieren. Und deswegen muss der Wähler an den Urnen eine klare Sprache entwickeln, was er in Ansätzen ja auch schon tut, wenn große Koalitionen in schnöder Regelmäßigkeit vorgeschlagen werden.