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Debatte "Arabellion"Sirte als Menetekel

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Dem Gaddafi-Regime muss man keine Träne nachweinen. Doch der Umgang mit dem Exdiktator wirft einen Schatten auf Libyens Zukunft.

Gaddafis Geburtsort Sirte ist von wochenlangen Kämpfen stark zerstört. Bild: reuters

W ehe den Besiegten! Als die Taliban im September 1996 Kabul einnahmen, fiel ihnen der gestürzte kommunistische Machthaber Mohammed Nadschibullah in die Hände. Der einstige Satrap der Sowjets wurde gefoltert, verstümmelt und an einem Truck zu Tode geschleift, sein blutiger Leichnam zur Abschreckung öffentlich aufgehängt. Das brutale Vorgehen gab einen Vorgeschmack auf die Barbarei, die Afghanistan unter den Taliban erwarten sollte.

So schlimm muss es in Libyen nicht kommen. Doch der Umgang mit Muammar al-Gaddafi, seinem Sohn Mutassim und deren letzten Gefolgsleuten wirft einen Schatten auf die Zukunft des Landes. Wenn nicht alles täuscht, wurden sie von einem Lynchmob ermordet. Auch das Schicksal von Gaddafis Geburtsort Sirte, der wochenlang beschossen und stark zerstört wurde, wirkt wie ein Menetekel.

Wer früher in der Gunst des Diktators stand, so die Botschaft, hat keine Gnade zu erwarten. Die Nachricht von rassistischen Hetzjagden auf schwarze Afrikaner aus dem Süden, die als Söldner des alten Regimes denunziert werden, passt in dieses düstere Bild. Ebenso, dass 53 Gaddafi-Soldaten nach ihrer Gefangennahme in Sirte erschossen worden sein sollen.

Bild: taz
DANIEL BAX

ist Parlamentskorrespondent der taz.

In die berechtigte Freude über den Sturz eines üblen Diktators mischt sich damit ein ungutes Gefühl. Nach langem Hin und Her hat der Übergangsrat internationalem Druck nachgegeben und eingewilligt, Gaddafis Todesumstände untersuchen zu lassen. Das dürfte ein Lippenbekenntnis bleiben. Schon der unaufgeklärte Mord an General Abdel Fattah Junis, der von Islamisten in den eigenen Reihen umgebracht worden sein soll, gab Anlass, am ernsthaften Willen und der Durchsetzungsfähigkeit des Übergangsrats zu zweifeln.

Afghanistankämpfer in Tripolis

Radikalislamische Milizen haben in den letzten Monaten die Speerspitze im Kampf gegen Gaddafi gebildet. Einer ihrer Anführer, Abdel Hakim Belhadsch, ein Afghanistankämpfer und ehemaliger Al-Qaida-Komplize, der sich heute geläutert gibt, wurde nach der Eroberung von Tripolis zum Militärkommandeur der Hauptstadt ernannt. Die Spannungen zwischen den Milizen und dem Übergangsrat treten nun offen zutage. Davon zeugt der Rücktritt des bisherigen Ministerpräsidenten Mahmud Dschibril, der von den Islamisten angefeindet wurde.

Dass sein Kollege Mustafa Dschalil, der Präsident des Übergangsrats, diesen Kräften entgegenkommt, indem er die Scharia zur Grundlage der Rechtsprechung zu machen verspricht, ist nicht die größte Gefahr. Schon unter Gaddafi waren Libyens Gesetze von islamischen Normen beeinflusst, und auch in anderen arabischen Ländern wie Ägypten gilt die Scharia als eine Quelle des Rechtssystems.

Das heißt nicht, dass dort - wie in Saudi-Arabien - Hände abgehackt oder - wie im Iran - sogenannte Ehebrecherinnen gesteinigt werden, sondern wirkt sich vor allem auf das Ehe- und Erbrecht aus. Allerdings geht die Ankündigung Dschalils, die Vielehe einzuführen, schon jetzt über das hinaus, was zu befürchten gewesen wäre.

Was hält Libyen zusammen?

Schwerer wiegt die Frage, ob es dem Übergangsrat überhaupt gelingt, die diversen Milizen, Stämme und Fraktionen zu einen. Dank der Waffen, die der Westen in das Land gepumpt hat, sind sie bis an die Zähne bewaffnet. Die gemeinsame Religion ist nur ein dünner Kitt. Wie flexibel man den Islam auslegen kann, zeigt der Umgang mit Gaddafis Leichnam. Nachdem dieser - allen Bräuchen zum Trotz - tagelang in einer Kühlhalle in Misurata wie eine Trophäe ausgestellt war, soll er auf Anweisung des Übergangsrats am Montag an einem unbekannten Ort verscharrt worden sein.

Das Einzige, was die Rebellen bisher verband, war ihre erbitterte Feindschaft gegen den Gaddafi-Clan. Sie schweißte ehemalige Mitstreiter und Stützen seines Systems, die rechtzeitig die Seite wechselten, mit islamistischen Kämpfern und deren örtlichen Anführern zusammen. Nun fordern jene, die auf der Straße aktiv gegen Gaddafi gekämpft haben, ihren Tribut.

Es mag richtig gewesen sein, dem Despoten in den Arm zu fallen, als er im März dieses Jahres drohte, die Aufständischen in Bengasi "Straße für Straße, Haus um Haus" jagen zu lassen. Ob es auch richtig war, die Rebellen militärisch so zu unterstützen und auszurüsten, dass sie Tripolis erobern und Gaddafis Armee besiegen konnten, ist weniger klar. Alles oder nichts, das war die Losung der Rebellen, der sich die Nato anschloss: Ein Kompromiss hatte von Anfang an keine Chance. Doch jetzt fehlt es an einer Armee und anderen Institutionen, die das Land zusammenhalten könnten.

Naive Kriegsbegeisterung

Es könnte sein, dass der Westen in Libyen den gleichen Fehler begangen hat wie in Afghanistan und im Irak. Auch dort wurde eine bestehende Ordnung zerstört - in Afghanistan durch die Unterstützung der Mudschaheddin, dann im Krieg gegen die Taliban, im Irak durch die radikale Beseitigung des Saddam-Regimes -, ohne danach für Stabilität sorgen zu können. Blutiges Chaos und jahrelange Bürgerkriege, die Hunderttausende Menschenleben kosteten, waren die Folge.

Angesichts dieser Erfahrungen erstaunte die Selbstgewissheit, mit der die Nato gegen Gaddafi in den Krieg zog - wie auch die naive Kriegsbegeisterung, mit der manche deutsche Publizisten meinen, auch deutsche Soldaten hätten dort an vorderster Front kämpfen sollen. Denn solche Kriege enden nicht mit dem Tod des Diktators. Sie fangen danach oft erst richtig an.

Immerhin hat die Nato es vermieden, mit Besatzungstruppen in Libyen einzumarschieren. Sich selbst überlassen werden die Sieger das Land dennoch nicht: Franzosen, Amerikaner Italiener und Briten wollen ihre Kriegsdividende einfahren. Auch wenn es nicht der Hauptgrund war: Man sollte nicht glauben, dass Öl habe in ihrem Kalkül keine Rolle gespielt.

Dem Vorwurf der Doppelmoral kann sich der Westen deshalb nicht entziehen. Zum angeblichen "Schutz der Zivilbevölkerung" ist er in einen Krieg gezogen, der mindestens 30.000 - auch zivile - Opfer gekostet hat. Palästinenser, Bahrainer und Syrer aber lässt er weiter im Stich, auch wenn diese gewaltlos protestieren.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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3 Kommentare

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  • V
    Volksverdummung

    Reichlich späte Einsichten und "Erkenntnisse"!

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    So spät, dass man es eigentlich nicht mehr akzeptieren kann, dieses: "Ja, wenn wir etwas davon gewusst hätten..." Die Zivilisten tun uns ja leid.

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    Quatsch. Natürlich konnte man wissen, was da gespielt wird! Zum einen gibt es unzählige Informationsquellen im Internet, die man nur etwas sorgfältiger "auskämmen" muss; zum anderen gab es die Nachrichten und Hinweise, die es selbst bis zur "TAZ-Kommentarwelt" geschafft haben, ohne unterwegs "aufgebracht", abgeschossen, bombardiert oder torpediert zu werden.

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    Übrigens gab es nicht nur den "EINEN" Afghanistankämpfer in Libyen, der zudem noch Mitglied der libyschen Al-KAIDA war (der besagte Belhadsch)!

    Wenn Ihr nähere Informationen über die Anzahl der eigens für den Krieg in Libyen angeworbenen "Rebellen" (Kämpfer, oder nennt Sie wie Ihr wollt) haben wollt, dann bitte bei "The Nation" (pakistanisches Propagandablatt) recherchieren! Da gab es mal einen Bericht (August 2011) drüber. Oder beim CIA-Europachef anfragen. Sollte ja jetzt keine kriegsentscheidende Relevanz mehr haben, ob man das jetzt bestätigt, oder nicht kommentiert.

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    Über die vom Emir von KATAR angeworbenen SÖLDNER (Rebellen, Kämpfer etc...), braucht man gar nicht mehr zu diskutieren. Der Emir hat das selbst bestätigt!

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    Über die NATO-Soldaten -Holländer und Briten- die bewaffnet und mit Funk- und sonstiger Ausrüstung im Februar in der ostlibyschen Wüste zeitweise von der libyschen Armee festgesetzt wurden, gab es ebenfalls Berichte! Ihre Aufgabe war es nach eigenen Angaben, einen Emissär der britischen Regierung zu den Rebellen nach Benghazi zu schleusen. Die britische Regierung hat das nicht dementieren lassen.

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    Der britische "Telegraph" wies -während der Kampf um Tripolis noch andauerte- nach, dass britische SAS-Bodentruppen (!) den Angriff auf Tripolis anführten und die "Rebellen" anleiteten!

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    Der amerikanische Kongressabgeordnete D. Kucinich hat in einer Rede davon gesprochen, dass es bereits VOR dem Angriff auf Libyen monatelange Vorbereitungen und detaillierte Kriegsübungen gab. Beteiligt gewesen seien Frankreich, England und die USA. Die Vorbereitungen reichen angeblich bis mindestens in den Herbst 2010 zurück (operation southern mistral).

    Kucinich wies auch darauf hin, dass die EXIL-LIBYER, die im Februar 2011 von den USA nach Benghazi aufbrachen u. fast unmittelbar darauf höchste Leitungsposten bei den Rebellen in Benghazi innehatten, eine bekannte US-amerikanische REISEAGENTUR genutzt hätten.

    Ach so! Die UNO-RESOLUTION-1973 kam, wie gesagt, erst später!

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    Ansonsten geht der Kommentar in Ordnung. Ich finde ihn sogar überdurchschnittlich!

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    Hesse

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  • I
    iwern

    Alles richtig. Doch wieviel schwerer hätte das Gewissen auf Europa gelastet, wenn es nichts unternommen hätte? Und Resolutionen, die wie im Falle Syriens es nur bei Ermahnungen belassen, oder eine Flugverbotszone, über der die Nato nur Streife geflogen wäre (man erinnere sich hier auch an die F'verbotszone und andere Sanktionen im Irak der 90er, die ebenfalls tausende Tote forderte, auch ohne Drang zum Sturz des Diktators) wären gleichbedeutsend mit Nichts gewesen. Und was Sie und andere Kommentatoren schuldig gblieben sind ist eine Antwort darauf wie eine Lösung zwischen "Alles und Nichts" hätte aussehen können. Ja, wie denn? Verhandlungen in deren Folge die beiden Parteien eine Grenze zwischen sich gezogen hätten? Hat es alles schon gegeben, hätte aber eine "Lösung" des Konflikts auf Jahrzehnte hinausgeschoben bzw einen neuen Konflikt erst geschaffen. Nicht? Oder die Gaddafi- Seite hätte sich durchgesetzt und in Bengasi, "die Ordnung wieder hergestellt", so wie es nur um Haaresbreite nicht geschehen ist. Ein weiteres Srebrenica (wenn auch unter anderen Umständen). Der Westen hätte sich nirgends mehr sehen lassen können und Menschenrechte anmahnen können. Der Westen wäre nicht nur moralisch sondern auch geostrategisch völlig diskreditiert gewesen (wenn er es nicht ohnehin schon ist- er weiß es nur noch nicht) da er in seiner eigenen Nachbarschaft nicht für Sicherheit sorgen kann (auf dem Spiel steht auch seine eigene Sicherheit). Die Gefahr ist natürlich gegeben, dass sich Libyen in eine neue Despotie verwandelt, wir wissen nicht was kommt, aber v.a. USA/Fr/GB haben in den vergangenen Monaten getan was im Bereich ihrer Möglichkeiten lag (was sie früher ggü Ghaddafi besser hätten tun sollen, war im März auch nicht mehr zu revidieren, lag außerhalb ihrer Macht) Nun kommt es darauf an auch weiterhin zu tun was im Bereich ihrer Handlungsmöglichkeiten liegt, um die Entwicklung dort, in Ägypten und in Tunesien positiv zu beeinflussen und nicht wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren oder sich darauf zu beschränken warme Worte zu verteilen. Solch eine Möglichkeit wird vllcht in 50- 100 Jahren nicht mehr kommen! Die Rückentwicklung in der Ukraine (in der man auch nur warme Worte verteilt hat und besser auf Putin und das Prinzip Hoffnung gesetzt hat, der Krieg in Georgien sollten eine deutliche Warnung sein, dass die Merkelsche Politik des Abwartens und der Verzögerlichkeit (bis die Dinge noch schlimmer sind)nicht die Lösung sein darf. Europa hat in den letzten 20 Jahren geschlaffen, hat sich mit dem Ende des Kalten Krieges als Sieger der Geschichte gesehen, die letzten 10 Jahre und mit dickem Ausrufezeichen versehen in den letzten Monaten haben klar gemacht, dass die Geschichte dramatische Wendungen nehmen kann, sowohl durch schwanzgesteuerte Allmachtsanfälle à la Bush als auch durch Nichtstun (wofür man freilich nicht gleich in Haftung genommen wird, "is halt Schicksal") Eilfertige Waffengänge, wie im Irak und in Afghanistan sind auch fatal(v.a. wenn man sie nur mit halber Kraft fährt, um dem Publikum zu Hause vorzumachen, dass dieser Krieg (Räusper) keine große Sache sei, und auf keinen Fall großen Einsatz erfordere ("n paar Brunnen bohren") mit dem Ergebnis, dass die Taliban den Laden wieder übernehmen. Und dann war da noch die Sache, mit den Warlords, die man als demokratische Führer eingesetzt hat, den Bock zum Gärner gemacht... und niemand im Westen kann sagen er hätte es nicht gewusst!Alle haben dem von Anfang an zugesehen. Nur die richtigen Konsequenzen gezogen hat in der Politik keiner- warum nicht? Ist es die TINA- Einstellung, die den Westen befallen hat? Die haben nun mal keine Tradition in Sachen Demokratie (eh Hopfen u Malz verloren)- i.d.S. auch Guttenberg bei einem seiner Afghanistan- Ausflüge. Man führt den Kampf um die Demokratie gern als Krieggrund an, oder schreibt sie in Assoziationsabkommen mit sämtlichen Arabischen Staaten vor dem Arabischen Frühling, doch man hat nicht den geringsten Antrieb ernsthaft etwas dafür zu tun.

  • J
    Josef

    Hallo,

     

    Ihr wollt also das die westliche Militärmacht sowohl Bahrain, Palästina und Syrien angreift, damit keine Doppelmoral herrscht.

    Super