piwik no script img

Debatte AntirassismuskonferenzDas Durban-Syndrom

Kommentar von Anetta Kahane

Gegen Mullahregimes und andere Despotien hilft nur eins: Der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus muss Chefsache des Westens werden.

Bild: dpa

Anetta Kahane wurde 1954 in Berlin (DDR) geboren, gründete 1998 die "Amadeu-Antonio-Stiftung. Initiativen für Zivilgesellschaft und Demokratische Kultur", deren hauptamtliche Vorsitzende sie seit 2003 ist. Die Stiftung unterstützt unter anderem Opfer rechter Gewalt. Für ihr Engagement gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus erhielt Kahane 2002 den Moses-Mendelssohn-Preis.

Nach allem, was auf der UN-Konferenz gegen Rassismus in Genf geschehen ist, war es auch im Nachhinein gesehen richtig, dass Deutschland an dieser Veranstaltung nicht teilgenommen hat. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, hatte enttäuscht gefragt, ob denn wegen der Interessen eines Landes (Israel) das gesamte weltweite Bemühen, gegen Rassismus vorzugehen, behindert werden sollte, wo doch das Abschlussdokument vergleichsweise harmlos sei. Genau diese Fragestellung jedoch zeigt, dass die UN-Konferenz eines nicht wahrhaben wollte: Heute ernsthaft Rassismus bekämpfen zu wollen, ohne gleichzeitig Antisemitismus ebenso entschieden abzulehnen, ist unmöglich.

Denn Antisemitismus ist nicht nur eine Form des Rassismus, sondern eine Gesellschaftstheorie, die sich gegen die Moderne richtet. Antisemitismus bündelt den Hass und den Zweifel mit Blick auf die westlichen Demokratien in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit. Er ist eine antiwestliche Ideologie, die Gruppen miteinander vereint, die unterschiedlicher nicht sein könnten: emanzipatorische Kritikerinnen des westlichen Systems und mieseste religiös motivierte Frauenschlächter, Nationalisten und Internationalisten, Friedenskämpfer und Kriegstreiber, ja sogar Rassisten und Antirassisten. Hervorgegangen aus der Melange antirassistischer, antiwestlicher und israelfeindlicher Haltungen lässt sich diese Situation als Durban-Syndrom bezeichnen. Das Durban-Syndrom bildet die Grundlage, auf der heute international - also auch in der UNO - an einer neuen Welterklärung gebastelt wird.

Dabei ist die neue Welterklärung eigentlich eine alte. Schließlich hatte es bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren ähnliche Debatten im Rahmen der UN-Antirassismuskonferenzen gegeben. Doch damals hatte sich niemand derart über antisemitische Positionen aufgeregt. Die Welt war noch in Ordnung, es gab den Ostblock und die nicht paktgebundenen Staaten auf der einen und die westlichen Demokratien auf der anderen Seite. Der Westen interpretierte den Antizionismus der sozialistischen Länder nur als Teil der ideologischen Frontstellung und konnte sich nicht vorstellen, dass Sozialisten wirklich antisemitisch ticken.

Im Jahr der Durban-Konferenz 2001 war der Ostblock bereits zehn Jahre verschwunden und mit ihm, so nahm man an, das alles überstrahlende Blockdenken und der ideologisch aufgeladene Antizionismus. Doch das Gegenteil war der Fall. Der Antisemitismus hatte in seiner ganzen Hässlichkeit die Mauer überlebt. Die Überraschung von Durban war, dass diese Erkenntnis für viele eine Überraschung war.

Ähnlich verhält es sich mit den Positionen zu den Menschenrechten. Erinnern wir uns: Die KSZE mit dem Prozess von Helsinki hat es möglich gemacht, dass Menschenrechtsgruppen in den Ostblockländern überhaupt entstehen konnten. Über Menschenrechte zu reden, war die Aufgabe jedes westlichen Politikers, der in den Osten reiste. Im sozialistischen Sprachgebrauch hieß das "imperialistische Menschenrechtsdemagogie". Gewiss ging es damals vor dem Fall der Mauer von westlicher Seite mehr um Presse- und Meinungsfreiheit und um Freizügigkeit als um Rassismus. Dafür warf die östliche Seite dem Westen Rassismus vor. Die Synonyme dafür waren Diskriminierung der Schwarzen in den USA, Südafrikas Apartheid und natürlich Israel. Doch im Grunde ging es in dieser Auseinandersetzung nie wirklich um die Bekämpfung des Rassismus.

Das schien in Durban 2001 anders. Befreit von Pathos und Demagogie des Ost-West-Konflikts hätte es zum ersten Mal tatsächlich um Rassismus gehen können. Doch es stellte sich schnell heraus: Der kalte Krieg mochte vorbei sein, die Abwehr demokratischer Freiheitsrechte und der Hass auf den Westen jedoch keineswegs. Natürlich ist der Westen daran nicht unschuldig. Selbstverständlich treffen auf ihn die Vorwürfe des Missbrauchs seiner Macht zu. Gewiss steckt Rassismus im Umgang des Westens mit anderen Staaten oder eigenen Minderheiten. Zweifelsohne klaffen zwischen seinem Anspruch und der Wirklichkeit schreckliche Lücken.

Spätestens jetzt, bei der Antirassismuskonferenz in Genf, wäre es höchste Zeit gewesen, den Kampf gegen Rassismus als einen Kampf um Gleichwertigkeit und Menschenrechte ernstzunehmen und den Rassismus nicht länger als eine Art "Gedöns" zu betrachten, mit dem man sich am Rande auch mal beschäftigen muss, wenn Opfer und ihre NGOs zu viel Theater machen. Das ist nicht nur moralisch verwerflich - es ist auch politisch falsch. Rassismus und Menschenrechte kann man nicht trennen. Im Angesicht neuer und alter Ideologien, die den Individuen jede Gleichwertigkeit absprechen, ist der Kampf um Menschenrechte das einzig übriggebliebene Instrument des Westens, mit dem es gegen Mullahregime, Despotien oder Diktaturen überzeugen kann. Wirtschaftlich haben auch die anderen Kraft und Macht entwickelt.

Die Forderung nach Menschenrechten hat zum Fall der Mauer beigetragen. Wer aber heute überzeugen will, muss sich mit Rassismus auseinandersetzen. Nicht zufällig, weil da eine UNO-Konferenz ist, sondern weil es politisch gewollt, praktisch gelebt und strategisch vorgebracht wird. Und das an vorderster Stelle und nicht nebenher. Ein lascher Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus, wie ihn die Bundesregierung anlässlich der Genfer Konferenz vorgelegt hatte, reicht in keiner Weise aus.

Manche mögen über die Genfer Konferenz spotten, und dafür gibt es jede Menge gute Gründe. Andere mögen es wegen der verpassten Chance, mehr gegen Rassismus tun zu können, bedauert haben, dass Deutschland nicht teilnahm. Beides hat irgendwie eine Berechtigung. Doch solange Menschenrechte und Antirassismus nicht zur Chefsache des Westens werden, ändert sich nichts, und wer auf sich hält, muss dem Spektakel der Antisemiten fernbleiben. Denn solange Rassismus und Antisemitismus nicht als zentrale Herausforderung im Mittelpunkt von Politik stehen, wird das Durban-Syndrom immer wieder zu antiwestlichem und antisemitischem Schluckauf führen. Wir können nur hoffen, dass die Welt mit ihrem atomaren Potenzial daran nicht erstickt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

6 Kommentare

 / 
  • RW
    Rolf Walther

    Wenn ein Farbiger einen Mord begeht und man sagt deutlich, dass dies ein Mord war, dann hat das nichts mit Rassismus zu tun. Und wenn Menschen jüdischen Glaubens seit 50 Jahren Verbrechen an den Palästinensern begehen, dann hat diese nichts mir Antisemitismus zu tun. Ich empfinde diese Totschlagargumente als absolut ärgerlich. Und als gefährlich. Sie arbeiten echten Antisemiten direkt in die Hände.

  • IN
    Ihr NamePeter Manske

    Sollte die Dame Deutsche sein und es mit dieser Staatsangehoerigkeit Ernst nehmen wuerde ihr ein Einstehen fuer Deutsche gut anstehen. So lange den fuer alle Ewigkeit zahlen sollenden Deutschen Unversoehnlichkeit , Unverzeihlichkeit und Vergebung fuer die Untaten ihrer Vorvorvaeter vorenthalten wird ist der Antideutschismus schlimmer als der gelegentlich bei Halbstarken auftretende Antisemitismus.glas

  • SS
    simone schneider

    Frau Kahane sollte ihre Worte besser wägen. Nicht alles, was von ihr als Antisemitismus gebrandmarkt wird, erfüllt die gängigen Definitionen. Insbesondere die hierzulande pauschal - im Regelfall ungehört und ungelesen - abqualifizierten Äusserungen des Herrn Ahmadinejad würde ich eher der Kategorie Antizionismus zuweisen. Und von jemand wie Frau Kahane würde ich mir wirklich wünschen, dass sie da ganz sauber trennt. Schliesslich dürfte ihr bewusst sein, wie schnell der Vorwurf des Antisemitismus in Deutschland missbraucht werden kann, um Debatten abzuwürgen und die Argumente anderer erst gar nicht würdigen zu müssen.

     

    Sicherlich kann man Herrn Ahmadinejad vorwerfen, in punkto Rassismus selbst im Glashaus zu sitzen - beispielsweise wenn es um die Politik Teherans gegenüber nationalen Minderheiten wie den Kurden oder den Balutschen geht. Aber daraus zu folgern, dass die Kritik rassistischer Politik Israels jeder Grundlage entbehrt und man - Stichwort Antisemitismus - sich mit den Details dieser Kritik nicht mehr zu beschäftigen habe, finde ich schlicht falsch. Gerade wenn man Frau Kahanes Aussage zustimmt, der Westen müsse "den Kampf gegen Rassismus als einen Kampf um Gleichwertigkeit und Menschenrechte ernst" nehmen, muss sich der Westen erst mal auch jede Kritik an der eigenen Politik anhören. Ahmadinejads Worte sind ja nicht nur gegen Israel gerichtet, sondern mindestens im selben Mass auch gegen den "Westen".

    Weiter sagt Frau Kahane: "Die Forderung nach Menschenrechten hat zum Fall der Mauer beigetragen. Wer aber heute überzeugen will, muss sich mit Rassismus auseinandersetzen." Völlig d'accord, aber wenn man sich anschaut, wie spätestens seit dem 11. September 2001 der Westen (in erster Linie natürlich die USA und Grossbritannien) in Afghanistan, im Irak und anderswo die Menschenrechte ganzer Völker mit Füssen tritt, dann darf man schon auch die Frage stellen, ob da nicht auch Rassismus drin steckt. Oder wie viele irakische Leben ist das eines Bürgers des Westens wert? Und warum sind sich im Westen alle einig, dass Omar Al Baschir, der Präsident Sudans vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gehört, Herr Blair und Herr Bush aber nicht. Kann es nicht möglicherweise so sein, dass die Herren in Washington, in Berlin und London im Grunde gottfroh sind, dass sich der Herr Ahmadinejad so prima zur Verteufelung eignet, weil man dann vor lauter Empörung über diesen dreisten "Antisemiten" gleich auch die mögliche Debatte über die eigenen Fehlleistungenb umgehen kann.

     

    Viele Grüsse

     

    Simone Schneider

    Berlin-Schöneberg

  • KS
    kleiner Spinner

    Was für eine Farce. Europa zeigt täglich, was ein Afrikaner hier wert ist, indem unsere Fangflotten vor Afrikas Küsten das Meer leer fischen - die ihrer Lebensgrundlage beraubten Fischer tauchen derweil in unseren Medien als "Piraten in Badelatschen" auf. Und was tun die europäischen Täter-Länder? Sie nehmen den Iran-Kasper als Vorwand, um sich vor einer Antirassismus-Konferenz zu drücken, und brechen stattdessen eine vergeistigte Debatte über Antisemitismus vom Zaun.

  • AP
    Adam Potocki

    Bravo! ein sehr guter Artikel!

  • SZ
    S. Zimmermann

    Welchen Westen meinen Sie? Der in Irak 2003 über 20.000 Unschuldige getötet hat? Oder den Westen, der 10 Jahre lang Hussein wiederum beim Angriffskrieg gegen Iran mit Giftgas und Raketen unterstützt hat? Meinen Sie die Koalition Geheimdienste, oder nur jene Staaten mit Atomwaffen westlich der ehemaligen Mauer? Ihren Westen gibt es nicht! Sie können nicht bombardieren und dann den Kampf für die Menschenrechte beginnen. Zwischen diesem Anspruch und der Wirklichkeit klafft keine Lücke, es fehlt ein Begriff. Krieg, Ausbeutung, Rassismus und Antisemitismus sind Teil dieses Begriffs. Mit anderen Worten, diejenigen die ferngeblieben sind, hatten (wie auch andere) auf der Durban-Konferenz erst recht nichts zu suchen.