Debatte Afrikanischer Frühling: Die Stimme des Volkes
Wahlen am Kongo und Nil entscheiden über das Erbe der Revolutionen, die den Kontinent erschüttern. Die Abstimmung im Kongo wird zu Unrecht vernachlässigt.
A m 28. November entscheidet sich Erfolg oder Scheitern von Afrikas Revolutionsjahr 2011. Begonnen mit den Umstürzen in Tunesien und Ägypten, fortgesetzt mit der Unabhängigkeit Südsudans sowie dem Sturz der Diktatoren in der Elfenbeinküste und Libyen, hat dieses Jahr dem afrikanischen Kontinent die aufregendsten Umwälzungen seit einer Generation beschert.
Nun, in einer kuriosen Koinzidenz, sollen am Montag die Wähler in Ägypten und der Demokratischen Republik Kongo gleichzeitig an die Wahlurnen schreiten. In den beiden großen afrikanischen Metropolen Kairo und Kinshasa, an den Unterläufen der beiden großen afrikanischen Flüsse Nil und Kongo, wird sich zeitgleich zeigen, ob der "arabische Frühling" in die Demokratie führt und ob das Herz Afrikas den Weg zum Wiederaufbau findet.
Polarisierung in Kinshasa
ist Auslandsredakteur der taz mit Arbeitsschwerpunkt Afrika.
Die ägyptische Wahl wird sich über mehrere Etappen hinziehen, und die neuerliche Zuspitzung in Kairo lässt die Zukunft ohnehin ungewiss erscheinen. Die Entscheidung im Kongo hingegen fällt schnell und womöglich brutal. Alles spricht derzeit dafür, dass Präsident Joseph Kabila am 6. Dezember offiziell von der Wahlkommission zum Sieger ausgerufen wird und an der Macht bleibt.
Alles spricht zugleich dafür, dass seine Gegner, allen voran die radikale Demokratiebewegung unter dem langjährigen Oppositionsführer Etienne Tshisekedi, das nicht akzeptieren werden, weil sie die Mehrheit des Volkes hinter sich wähnen und jeden anderen Wahlausgang als Ergebnis von Manipulation ablehnen.
Afrika kennt ein abschreckendes Vorbild dafür, was dann passieren könnte. Vor genau einem Jahr endete die Präsidentschaftswahl in der Elfenbeinküste mit einem ebenfalls umstrittenen Wahlergebnis, das das Land in einen Krieg mit mehreren tausend Toten stürzte. Die Entscheidung gab es erst nach vier Monaten in einem blutigen Finale mitten in Abidjan. Manche Kongolesen fürchten, dass der ivorische Wahlkonflikt nur ein Vorgeschmack darauf war, was dem viel größeren Kongo blühen könnte.
Das geht die Welt mehr an, als sie wahrhaben möchte. Es gibt kein stabiles Afrika ohne einen stabilen Kongo. Während der letzten fünfzehn Jahre zogen die Kongokriege zeitweise halb Afrika in ihren Bann und lenkten viele eigentlich fortschrittliche Regierungen davon ab, ihre Zukunftspläne zu verfolgen. Ebenso wie 1960 der Zerfall des Kongo direkt nach der Unabhängigkeit die postkoloniale Emanzipation Afrikas sabotierte, untergräbt auch heute die schlechte Führung des Landes die Gesundung des Kontinents.
Vor fünf Jahren war die internationale Aufmerksamkeit eine ganz andere. Die Bundeswehr rückte an der Spitze einer EU-Eingreiftruppe Eufor nach Kinshasa aus, um Kongos erste freie Wahlen zu sichern und damit die Kongokriege endgültig zu überwinden, die das Land zehn Jahre lang zerrissen und hunderttausende Menschenleben gefordert hatten. Im Kongo stand bereits die größte UN-Blauhelmmission der Welt, aber Europa wollte zusätzlich ein Zeichen setzen.
Perspektivlose Generation
2006 siegte erst Kabila an der Wahlurne, dann schlug er seinen Gegner Jean-Pierre Bemba militärisch nieder. Heute regiert Kabila weitgehend unangefochten. Die Machtfrage ist entschieden. Deswegen kümmert sich die Welt nicht um die Wahl 2011. Das ist kurzsichtig und gefährlich.
Kongos Wahl 2006 war eine Wahl unter Warlords. Kongos Wahl 2011 ist eine Wahl unter Zivilisten. Sie mobilisiert und polarisiert die kongolesische Gesellschaft viel mehr als die vor fünf Jahren. Hierin stecken große Risiken, denn nach dreißig Jahren Staatszerfall lebt eine ganze Generation der 73 Millionen Kongolesen ohne Arbeit und Auskommen, ohne Perspektiven, ohne Institutionen, dafür mit Predigern und Kriegsherren als einzigen Erfolgsmodellen, mit Gewaltbereitschaft als einzigem bewährten Mittel der politischen Auseinandersetzung. Es wäre so wichtig, diesem Horizont etwas Positives entgegenzusetzen und friedlichen Wandel bei einer fairen und demokratischen Wahl als reale Möglichkeit erscheinen zu lassen.
Es ist unfassbar, dass die internationale Gemeinschaft zwar vor fünf Jahren gigantische Mittel und ein gehöriges Maß Prestige verausgabte, um der Demokratischen Republik Kongo zumindest die Fassade eines Staates zu geben - aber heute ungerührt zuschaut, wie diese Fassade im Selbsterhaltungstrieb einer skrupellosen Elite zerbröselt.
Seit Kabilas Wahl 2006 blühte im Kongo vor allem die Korruption. Kongos Prokopfeinkommen ist seit 2006 um 60 Prozent gewachsen, aber das Land ist zugleich im UN-Index der menschlichen Entwicklung auf den allerletzten Rang abgerutscht. Es wird viel Geld erwirtschaftet, aber nichts davon kommt der Bevölkerungsmehrheit zugute. Den Preis dafür zahlen nicht nur 73 Millionen Kongolesen, sondern alle Afrikaner, die immer noch darauf hoffen, dass die Welt ihnen beistehen könnte, wenn es darauf ankommt.
Immer schwerwiegendere und präzisere Vorwürfe der Möglichkeit von Wahlmanipulation in großem Stil beherrschen die Endphase des Wahlkampfs im Kongo. Gewaltsame Übergriffe gegen Anhänger der Opposition nehmen zu. Das Misstrauen zwischen Staat und Volk ist größer als je zuvor. Die Gefahr eines Zerfalls, weil sich ganze Landesteile vom korrupten Machtspiel in Kinshasa abwenden könnten, ist hoch.
Aktiv für Demokratie eintreten
Der Internationale Strafgerichtshof droht nun zwar Gewalttätern mit Verfahren, Diplomaten rufen täglich zum Frieden auf, unter Ausländern zirkulieren Evakuierungspläne und Horrorszenarien über den kommenden Krieg. Aber diese Alarmstimmung steht in seltsamem Kontrast zum völligen Fehlen jeder sichtbaren Planung dafür, im Kongo den Frieden und zugleich die Demokratie zu retten.
Ein entschlossenes Bekenntnis Europas zu Demokratie und Veränderung in Afrika und die Bereitschaft, dafür aktiv einzutreten - das wäre das angemessene Signal, dass man die Lektionen des Revolutionsjahres 2011 gelernt hat. Die Zukunft wird in Kinshasa wie in Kairo vom Volk entschieden. Wer sich auf die Seite von Gewaltherrschern stellt, landet auf der Verliererseite.
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