Debatte Afghanistan: Das böse Wort mit K
Ein Jahr nach dem Luftangriff von Kundus werden die Folgen der deutschen Kriegsbeteiligung in Afghanistan von der Politik immer noch schöngeredet.
D ie Bundestagswahl war nur drei Wochen entfernt, der Wahlkampf eher langweilig. Platz wäre gewesen für eine politische Auseinandersetzung mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Doch in Deutschland sollte das, was da knapp sieben Flugstunden südöstlich von Berlin im Auftrag des Parlaments passiert, vor der Wahl ebenjenes Parlaments kein Thema sein. Der Afghanistankrieg sollte nicht einmal so genannt werden dürfen. Das K-Wort war tabu, auch darin war sich eine ganz große Koalition aus Union, SPD, FDP und Grünen einig.
Nicht Taliban oder Aufständische, nicht wie befürchtet die militärischen Gegner, bombten das ungeliebte Thema Afghanistankrieg dann auf die politische Agenda, die Bundeswehr selbst tat es. In der Nacht zum 4. September 2009 forderte der Kommandeur des deutschen Lagers in Kundus bei den US-Streitkräften ein Bombardement auf zwei von Aufständischen entführte Tanklaster an. Sie hatten sich bei der Durchfahrt durch den Kundus-Fluss festgefahren. Die Bundeswehr hatte, nach derzeitiger Schätzung, 91 Tote zu verantworten.
Mit den Bomben im Flussbett des Kundus brach ein Konstrukt zusammen, das erstaunlich lange gehalten hatte: Deutschland führt keinen Krieg. Und sollten wir doch so etwas Ähnliches tun, dann machen wir das viel besser und sensibler als diese rüpelhaften Amis. Gern etwa stellte man in Bundestagsdebatten heraus, dass die deutschen Tornado-Jets nur das Land erkunden, aber weder schießen noch bomben dürfen. Dabei wurde dann gern verschwiegen, dass die Bundeswehr schon seit Jahren immer wieder US-Kampfflugzeuge zur Luftunterstützung am Boden anforderte. Wir bomben nicht, wir lassen bomben. Nun war es ausgerechnet ein deutscher Oberst, der US-Bombern die Einsatzorder für einen besonders fatalen Einsatz gegeben hatte. Deutschland war mitten im Krieg.
Halbherzige Untersuchung
Der Untersuchungsausschuss, der selbstverständlich erst lange nach der Bundestagswahl eingesetzt wurde, hätte die Gelegenheit geboten, endlich dem Parlament und der Öffentlichkeit ein realistisches Bild der Kriegsführung in Afghanistan und speziell in der Region Kundus zu bieten. Der Ausschuss hätte die Gelegenheit geboten, die Widersprüche aufzudecken: zwischen der politischen Zielsetzung und der militärischen Umsetzung vor Ort.
Stattdessen nutzte die Opposition dieses schärfste parlamentarische Instrument fast ausschließlich dazu, die Umstände der Entlassung eines Staatssekretärs und des Generalinspekteurs durch den neuen Wehrminister Guttenberg zu klären. Statt die Kriegsführung in Afghanistan zu untersuchen, ging es SPD und Grünen einzig darum, einen Minister zu demontieren. Und Union und FDP wollten das offensichtliche Debakel von Kundus als reinen Ausrutscher darstellen. Suggeriert wurde: Mit ein paar, inzwischen umgesetzten Verbesserungen in der Kommunikations- und Kommandostruktur würde dies nicht mehr vorkommen, der Krieg wieder akzeptabel. An die Kernfragen wollen SPD und Grüne so wenig ran wie Union und FDP.
Das heißt nicht, dass im letzten Jahr nicht über den Einsatz sporadisch gestritten wurde. Doch je demonstrativer die Betroffenheit, desto deutlicher wurde auch, dass die Folgen der Kriegsbeteiligung weiter ausgeblendet werden. So etwa im Februar dieses Jahres, als es um die abermalige Aufstockung des Mandats für den Einsatz in Afghanistan ging. Da beharrte die SPD tapfer darauf, keine zusätzlichen Kampftruppen zu entsenden.
Nur den Namen geändert
Das klang sehr entschlossen, und auf dem Papier setzte sie sich sogar durch. Nur hat all das mit dem Geschehen in Afghanistan wenig zu tun. Wenn sich die Truppen jetzt "Schutz- und Ausbildungsbrigade" nennen, mag das die Gemüter in Berlin beruhigen. An der täglichen Praxis in Afghanistan ändert es wenig bis nichts. Die Einheiten stehen mit neuem Namen nicht weniger im Gefecht als zuvor.
Als im April innerhalb von zwei Wochen sieben deutsche Soldaten in Afghanistan zu Tode kamen, überboten sich Abgeordnete vor allem aus Union und FDP mit Klagen über angeblich mangelnde Ausstattung und unzureichende Ausbildung. Dem einen fehlten die Hubschrauber, der andere wollte gleich mit Leopard-2-Panzern anrollen. Eigentlich, so schwingt es in diesen Äußerungen mit, hätte all das gar nicht passieren dürfen. Die Toten und Verletzten wurden als Folge eines vermeidbaren Unfalls betrachtet, nicht als unvermeidliche Konsequenz der Kriegsbeteiligung.
Gespieltes Erstaunen
Und schließlich demonstrierten auch die Reaktionen auf die Veröffentlichungen der Afghanistan-Akten über Wikileaks im Juli dieses Jahres, dass so mancher Wehrpolitiker noch nicht in der schmutzigen Welt des Krieges angekommen ist. Da beklagten sich insbesondere SPD und Grüne darüber, dass doch tatsächlich US-Spezialeinheiten auch auf dem Gebiet des von der Bundeswehr geführten Nordkommandos gezielt Aufständische jagen.
Dabei muss man schon ziemlich schlecht informiert sein, um den Aufmarsch der US-Truppen im Norden Afghanistans nicht mitzubekommen und ihre Aufgabe nicht zu verstehen. Früher tat man so, als hätten die Deutschen mit den im Süden und Osten agierenden Amerikanern nichts zu tun. Jetzt will man angeblich nicht einmal wissen, was die US-Truppen tun, wenn diese von den Standorten der Bundeswehr aus im Norden Afghanistans agieren.
Das alte Spiel der Verdrängung geht also weiter. Zwar trugen die Luftangriffe vom 4. September dazu bei, die komplette Realitätsverweigerung der deutschen Wehrpolitiker ein wenig aufzulösen. Auch Mitglieder der Bundesregierung sprechen nun von "kriegsähnlichen Zuständen". Und Soldaten vor Ort wird tatsächlich zugestanden, den Krieg um sie herum als solchen zu bezeichnen. Doch auch ein Jahr nach den Bomben auf die Tanklaster wird weiter schöngeredet und verschwiegen. Noch immer haben die politisch Verantwortlichen offensichtlich nicht verstanden, welche Konsequenzen es hat, die eigenen Streitkräfte mit der Führung eines Krieges zu beauftragen. Das Denken ist in der Zeit des K-Wort-Tabus stehen geblieben.
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