Debatte Afghanistan und Kirche: Eine Frau trifft ins Schwarze
Der deutsche Kriegseinsatz wird endlich wieder als Problem begriffen. Und die Kritik von Margot Käßmann ist differenziert und vor allem berechtigt.
W ie man mit einer unbequemen Kritikerin umgeht, das haben in den letzten Tagen Politiker von CDU bis Grünen demonstriert. Sie zitierten die evangelische Bischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann falsch, aus dem Zusammenhang gerissen oder bis zur Entstellung verkürzt und sie diffamierten sie als ahnungslosen Moralapostel. Die Kritikerriege aus Parlament und Regierung war mit einer Ausnahme männlich. Unterstützt wurde sie von Vertretern des Bundeswehrverbandes, evangelikalen Christen und einigen Journalisten.
Dabei offenbaren manche Kritiker Käßmanns ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie. So etwa der SPD-Außenpolitiker Klose mit seinem Anwurf, die Bischöfin habe "sich mit ihrer Äußerung in Gegensatz zur Mehrheit des Bundestages gesetzt". Zudem vertrete Käßmann "die Position der Linkspartei". Ein solcher Bannspruch sollte dann jede sachliche Auseinandersetzung ersparen.
Der zentrale Vorwurf an die EKD-Ratsvorsitzende lautete, sie habe einen "schnellen" oder gar den "sofortigen Abzug" der Bundeswehr aus Afghanistan gefordert. Abgesehen davon, dass auch diese Forderung durchaus von der Meinungsfreiheit gedeckt und diskussionswürdig wäre: Käßmann hat sie in keiner ihrer öffentlichen Äußerungen zu Afghanistan erhoben oder auch nur nahegelegt.
Andreas Zumach ist UNO-Korrespondent der taz mit Sitz in Genf. Er ist gelernter Volkswirt, Journalist und Sozialarbeiter. Zuletzt veröffentlichte er: "Die kommenden Kriege - Präventivkrieg als Dauerzustand?" bei Kiepenheuer und Witsch.
Stattdessen plädierte die Ratsvorsitzende in differenzierter Weise dafür, dass die Bundesregierung "einen erkennbaren Plan für den Abzug, eine Exit-Strategie" entwickelt und die zivilen Anstrengungen in Afghanistan deutlich verstärkt. Zu Recht äußerte sich Käßmann "schockiert" über die Verdrehung ihrer Äußerungen. Das war weder ein "Zurückrudern" (taz-Kommentar am 5. 1.), eine "Klarstellung" (Außenminister Westerwelle) noch die Wiederannäherung der Bischöfin an die "Mehrheit im Bundestag", wie der CDU-Außenpolitiker Polenz befriedigt konstatierte.
Was versteht eine geschiedene Frau und Mutter von lediglich vier Töchtern (!), die noch nicht in Afghanistan war, denn schon vom aufopferungsreichen Krieg unserer Bundeswehrjungs? Dieser chauvinistische Unterton wird am deutlichsten in den Kritiken des Wehrbeauftragten des Bundestages, Robbe (SPD) und der Vertreter des Bundeswehrverbandes. Sie vertreten die ebenfalls wenig demokratietaugliche Haltung, zum Krieg in Afghanistan dürfe sich nur äußern, wer sich "vor Ort kundig gemacht hat".
Wichtigster Bezugspunkt für Käßmanns Kritik am Afghanistankrieg ist die im September 2007 vom Rat der EKD veröffentlichte Friedensdenkschrift. Darin wird dem Konzept des "gerechten Krieges" eine endgültige, eindeutige, ausnahmslose und zugleich wohlbegründete Absage erteilt. Wie wichtig diese Positionierung der EKD ist, zeigt die Friedensnobelpreisrede von Barack Obama, in der der US-Präsident nicht nur den aktuellen "Krieg gegen den Terrorismus" in Afghanistan und anderswo als "gerechten Krieg" zu legitimieren suchte, sondern darüber hinaus "alle Kriege der letzten sechs Jahrzehnte, bei denen US-Soldaten ihr Blut vergossen haben".
Die EKD-Denkschrift offenbar bis heute überhaupt nicht gelesen hat der Grünen-Politiker Fücks. In einem oberlehrerhaften Brief hielt er Käßmann und anderen "Kirchenoberen" eine "Inflation gut gemeinter Banalitäten" vor und forderte sie auf, "protestantische Verantwortungsethik ernst zu nehmen und Kriterien für einen legitimen Bundeswehreinsatz aus der Sicht der Kirche zu diskutieren".
Genau dies ist in der Denkschrift geschehen. In Anlehnung an die im UNO-Rahmen seit Ende der 1990er-Jahre geführten Debatte über die "Verantwortung zum Schutz" vor Völkermord und anderen schweren Menschenrechtsverbrechen benennt sie einen Katalog politischer, moralischer und völkerrechtlicher Kriterien, unter denen der Einsatz "rechtserhaltender" militärischer Gewalt künftig nach protestantischer Ethik noch vertretbar sei. Diese Kriterien hält die Ratsvorsitzende im Fall Afghanistan vollkommen zu Recht für nicht (mehr) erfüllt. Lediglich in dieser Frage gibt es noch graduelle Einschätzungsunterschiede innerhalb des EKD-Rates. Inzwischen haben sich fast alle Landesbischöfe der EKD und auch der Militärbischof sowie mehrere katholische Bischöfe voll oder mit leichten Einschränkungen hinter Käßmann gestellt.
Warum gibt es diese massive und aggressive Kritik an Käßmann? Weil zumindest die meisten der Kritiker genau wissen, dass die Bischöfin im Kern Recht hat mit ihrer Kritik am Afghanistankrieg. Jenseits aller ethischen, moralischen oder völkerrechtlichen Einwände, die sich gegen diesen Krieg vorbringen ließen, wissen Polenz, Klose, zu Guttenberg oder Westerwelle, dass die Afghanistan-Mission gemessen an den einst erklärten Zielen nicht nur gescheitert ist, sondern kontraproduktiv wirkt. Und sie dürften auch zumindest ahnen, dass die von Friedensnobelpreisträger Obama verordnete Eskalation des Krieges keine neue, erfolgversprechende Strategie ist, sondern das Desaster nur noch schlimmer machen wird - auch für die deutschen Soldaten.
Doch noch spricht keiner der verantwortlichen Politiker von Regierung sowie sozialdemokratischer und grüner Opposition diese unbequeme Wahrheit deutlich aus oder zieht gar Konsequenzen. Auch die Linkspartei beschränkt sich weiter auf die populistische Forderung nach dem sofortigen Abzug der Bundeswehr, anstatt endlich die durchaus benennbaren Eckpunkte für eine alternative Afghanistan-Politik zu formulieren und in die öffentliche Debatte zu bringen. Und so bleibt die deutsche Debatte weiter auf die vergleichsweise zweitrangige Frage verengt, wie viele zusätzliche Soldaten Deutschland bei der Londoner Afghanistan-Konferenz in zwei Wochen anbieten muss, sowie auf die parteitaktischen Scharmützel, wer in Berlin wann über welche Details des verhängnisvollen Luftangriffs von Kundus informiert war.
Käßmanns Äußerungen waren ein dringend notwendiger und verdienstvoller Anstoß, diese Verengung der Diskussion zu überwinden. Doch dieser Anstoß allein reicht nicht. Es ist zu hoffen, dass die Ratsvorsitzende und mit ihr die ganze EKD keine Ruhe mehr geben.
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