: Dear Saddam!
■ Washington, den 10. 0ktober 1990
Du magst es noch nicht bemerkt haben, aber dies könnte Deine große Stunde sein! George Bush hat Angst vor Dir. Nicht vor Deinen C- und B-Waffen, deren versuchter Einsatz Dir von israelischer Hand ein schnelles Ende bereiten würde. Auch nicht vor einer eventuellen Ermordung unschuldiger Geiseln, deren Schicksal längst nicht so wichtig ist, wie der der benzinschluckenden Sechszylinder auf den hiesigen Highways. Nein — George Bush und seine Mannen haben Angst vor Deinem Rückzug!
Stell Dir vor, die Pentagon-Planer wollen den Krieg und Du gehst einfach nicht hin. Zieh Dich zurück, Saddam, und Du wirst die USA in der Region politisch bloßstellen, wie es Dir militärisch nie möglich sein wird.
Hör auf den Rat Deiner arabischen Möchtegern-Brüder und befehle Deinen Truppen den Abzug aus Kuwait ohne Vorbedingungen. Über den Ölpreis, den Zugang zum Golf und eine Beteiligung am Rumeili-Ölfeld kannst Du mit den eingeschüchterten Scheichs ohne Volk auch noch hinterher ins Geschäft kommen.
Stell Dir doch mal vor, welchen satanischen Schaden Du mit einem solchen Überraschungscoup Deinem amerikanischen Erzfeind ausrichten würdest! Und welche Stellung Dir plötzlich im arabischen Lager zukäme! Die Saudis müßten ihre amerikanischen Freunde nach so viel Solidarität mit einem unsanften Fußtritt nach Hause schicken, das haben sie schließlich versprochen; es sei denn, sie wollten in der arabischen Welt als Marionetten des US-Ölimperialismus auch noch ihren letzten Rest Glaubwürdigkeit verlieren.
Danach forderst Du freie Wahlen in Kuwait, Saudi-Arabien und den übrigen Emiraten, und die ganze Welt steht hinter Dir. Die USA müßten ihre 200.000 GIs wieder aus deren kostspieligen Löchern im Wüstensand herausbuddeln und für die frustierten Kämpfer daheim neue Formen der Beschäftigungstherapie organisieren.
Du, Saddam, müßtest Dir nur noch eine jener zeitgeistigen Publicity-Firmen in der New Yorker Madison Avenue mieten. Die würden schnell Dein Image liften, indem sie den Kuwait-Feldzug als rein symbolischen Angriff auf die skandalöse und ungerechte Einkommensverteilung im Nahen Osten verkaufen. Für Geld machen diese Agenturen alles, sogar Werbung für die klassenkampfgerechte Umverteilung, so „out“ die im Moment auch scheinen mag.
Die Ideologie für ein solches Programm hast Du ja schon. Schau einfach wieder einmal in eines der verstaubten Handbücher der alten Baath-Partei. Nur müßten dieser Lektüre dann auch sozialpolitische Taten folgen. Saddam als Architekt der arabischen Einheit, als umverteilender Robin Hood des Nahen Ostens, solch eine Rolle stünde Dir als Mann aus einfachen Verhältnissen doch prächtig und würde auch Deine abgeschlafften TV-Einschaltquoten auf CNN wieder in neue Höhen treiben.Zur Unterstreichung Deiner Ernsthaftigkeit könntest Du dann schließlich ein paar englische und amerikanische Geiseln mit warmem Handdruck verabschieden und sie mit der Message nach Hause entlassen, daß es Dir, Saddam, die ganze Zeit nur um die Herstellung einer gerechten und demokratischen postkolonialen Ordnung im Nahen Osten ging.
Dann wird sich die Welt trotz ihres kommunikativen Kurzzeitgedächtnisses an Deine Rolle bei der Lösung der Golfkrise noch lange erinnern. Wenn all das getan ist, kannst Du nach der Demütigung Amerikas ein weiteres Deiner Ziele in Angriff nehmen: die Errichtung eines Palästinenser- Staates.
Statt martialisch Tel Aviv mit Vergeltungsschlägen zu drohen, solltest Du den Staat Israel lieber in den Grenzen von vor 1967 anerkennen und damit das Werk der Intifada fortführen. Wer könnte sich danach noch dem Ruf nach einer von der UNO einberufenen und von der Sowjetunion moderierten internationalen Friedenskonferenz widersetzen? Assad etwa, dessen diktatorisches Regime das Beispiel einer aufgeklärten Bruderpartei im Nachbarland Irak kaum überleben dürfte? Mitterrand, der eine Nahostkonferenz nach der anderen vorschlägt?
Damit hättest Du sogar den rechten Flügel der pro-israelischen Lobby in den USA zu Statisten degradiert und den heimlichen Wunsch so manches liberalen US-Juden erfüllt. Trotz der Schmach des kampflosen amerikanischen Rückzuges vom Golf müßte da selbst George Bush zustimmen und Israel zum Rückzug aus den besetzten Gebieten und die Regierung Schamir zum Dialog mit PLO-Vertretern drängen.
Saddam, die Gelegenheit ist günstig. Zeig, daß Du cleverer bist als all diejenigen, die Dich einen Ersatz-Hitler schimpfen. Solch eine historische Chance hat schließlich nicht jeder dahergelaufene Diktator.
Oder willst Du lieber mit Deinem Volk als radioaktiv verseuchtes Opfer Zions oder als verkohlte Reliquie eines vergeblichen Kampfes für die arabische Selbstbestimmung in die Geschichte eingehen?
Überleg Dir's nicht zu lange...
Yours faithfully Rolf Paasch
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