: De Maiziere will in den USA Geld sehen
■ Ministerpräsident ruft US-Wirtschaft zu Investitionen auf / „Keine Wirtschaftsfestung Deutschland“ schaffen / Heute trifft der Regierungschef mit USA-Präsident Bush zusammen / Erster Besuch eines DDR-Chefs in USA
New York (afp) - Ministerpräsident Lothar de Maiziere hat die amerikanische Wirtschaft zu Investitionen und zum Kapitaltransfer in die DDR aufgerufen. Es sei ein „Gebot der Klugheit und Vernunft“, außer bundesdeutschen Unternehmen auch die anderen westlichen Industrienationen und insbesondere die USA zu Investitionen zu ermuntern, sagte der Ministerpräsident am Sonntag vor Vertretern amerikanischer Banken und Finanzinstitutionen in New York.
De Maiziere war am Vortag als erster Berliner Regierungschef zu einem viertägigen Besuch in den USA eingetroffen. Kurz nach seiner Ankunft war er zu privaten Gesprächen mit dem bundesdeutschen UN-Botschafter Hans-Otto Bräutigam sowie mit dem New Yorker Kardinal John Joseph O'Connor zusammengekommen. Den gegenwärtigen Warenaustausch und die Kreditaufnahme bei US-Banken durch die DDR bezeichnete der Ministerpräsident als unterentwickelt. Der Anteil der DDR am US-Außenhandel betrage nur 0,2 Prozent und das Fehlen eines Handelsabkommens sowie die Nichtgewährung der gegenseitigen Meistbegünstigung wirke sich hinderlich aus. Die Regierung hoffe, daß „durch unsere Gespräche hier in den USA, Ansatzpunkte für eine rasche Lösung dieser Fragen im beiderseitigen Interesse gefunden werden können“, sagte de Maiziere. Man wolle keine „Wirtschaftsfestung Deutschland“, sondern offene Grenzen für Kapital und Investitionen.
Mit dem katholischen Kardinal O'Connor vereinbarte de Maiziere einen Studentenaustausch zunächst im kirchlichen Rahmen, um die Beziehungen zwischen den USA und der DDR zu stärken. Man sei sich einig gewesen, daß die Kirchen in der DDR auch weiterhin eine wichtige politische Rolle zu spielen hätten, erklärte Regierungssprecher Matthias Gehler im Anschluß.
Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen besichtigte der Regierungschef noch am Samstag abend die Lower East Side und Chinatown. Politische Höhepunkte des Besuchs sind eine Begegnung unter vier Augen mit US-Präsident George Bush heute mittag im Weißen Haus sowie anschließende Gespräche mit Bush und dem amerikanischen Außenminister James Baker. Dabei werden nach Auskunft Gehlers die Ergebnisse der jünsten Beratungen von Warschauer Pakt und Nato im Mittelpunkt stehen. Für Europa gebe es nur eine gesicherte Zukunft, wenn die Vereinigten Staaten „auch künftig eine wichtige Rolle“ dort spielten und „gemeinsam mit der Sowjetunion für die demokratische Einigung des Kontinents wirken“, so de Maiziere.
Weitere wichtige Programmpunkte sind ein Treffen de Maizieres mit dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Edgar Bronfman, und ein Besuch des Holocaust Memorial in Washington. Nachdem die erste frei gewählte Volkskammer und Regierung sich zur Mitverantwortung für die Überlebenden der nationalsozialistischen Judenvernichtung bekannt und damit den Weg zur Aussöhnung zwischen DDR und jüdischem Volk freigemacht haben, sollen in nächster Zeit die Modalitäten einer finanziellen Wiedergutmachung geklärt werden.
Zum Abschluß des Besuches trifft Ministerpräsident de Maiziere am Dienstag in New York mit UN-Generalsekertär Javier Perez de Cuellar zusammen.
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