: „De Engholm ward uns Buern no kennenlern“
5.000 Liter giftiges Kresol kippte ein LKW-Fahrer in den Gulli / Nach Fischsterben und Evakuierung der Anwohner versprach Kieler Regierung biologischen Abbau des Giftes / Nach fünf Monaten landet es nun jedoch - wie üblich - auf der Deponie ■ Von Petra Bornhöft
Rondeshagen (taz) - Bei Kilometerstein 32,5 an der Autobahn zwischen Lübeck und Hamburg trat der LKW-Fahrer auf die Bremse. Er schaltete Motor und Verstand aus, legte einen Schlauch in den Gulli des Rastplatzes und pumpte 5.000 Liter giftiges Kresol in die Kanalisation. Eigentlich hätte er das Zeug an jenem 24.Januar 1989 in einem dänischen Chemiebetrieb entladen sollen - doch eine Kammer hatte er wohl vergessen zu leeren. In den nächsten Tagen starben die Fische in den umliegenden Bächen zentnerweise, neun Anlieger des Rastplatzes wurden evakuiert.
Nach fünf Monaten Behörden- und Bauernkrieg ließ die Landesregierung nun die Polizei eingreifen: Sie räumte den von Bauern blockierten Zufahrtsweg zur Sondermülldeponie Rondeshagen frei. Seit Montag rollen täglich vier Lastwagen mit insgesamt 2.000 Kubikmetern verseuchter Erde zu ihrem Endlagerplatz. Gesamtkosten: vier bis sechs Millionen Mark. „Lug und Trug“ werfen die Bauern der Landesregierung vor. Sie fordern ein, was der Umweltminister versprach: die biologische Vernichtung des Giftes.
Der Rastplatz ist nur mit einer Polizeistreife zu erreichen. Aus dem kürzlich aufgestellten Zelt über den Erdhügeln dringt - trotz Filteranlage - der stechende Geruch des Kresols. Dieses Gift ist eine Phenol-Verbindung und wird stark verdünnt als Desinfektionsmittel verwendet. In hohen Konzentrationen eingeatmet, schädigt Kresol das Nervensystem. Heiko Vulkening, der 30 Meter hinter dem Rastplatz wohnt, bekam am Tag danach Durchfall, Augen- und Halsschmerzen und mußte sich mehrmals übergeben. Ähnlich erging es seinen Nachbarn. Sie mußten umziehen in das Hotel Vaterland in Bad Oldesloe.
Dort lebt der 48jährige Kraftfahrer seither auf acht Quadratmetern. „Täglich muß ich wegen der beiden Katzen her, die kann ich ja nicht ins Hotel mitnehmen“, sagt Vulkening, während er im Wohnzimmer seiner Wohnung Hemden bügelt - auch das ist in der Hotel-Butze nicht möglich. Zwei Monate, so erinnert sich Hausbesitzer Wolfgang Lange (39), „haben wir abgewartet. Es passierte nix. Dann sind wir zur Presse gegangen“, mittlerweile kleben 250 Artikel zwischen den Aktendeckeln des Verwaltungsbeamten. Kuriose und bittere Erfahrungen sprudeln aus den Erzählungen der Betroffenen.
Endlos das Kompetenzgezerre zwischen Bund, Land und Kreis um die ausgebaggerte Gifterde. Niemand wußte, was geschehen sollte. Dann riet der Landrat den Evakuierten: „Ziehen Sie wieder ein“, am nächsten Tag forderte das Gesundheitsamt: „Halten Sie sich die Nase zu, wenn Sie ins Haus gehen, und lassen Sie die Fenster geschlossen.“ Umweltminister Bernd Heydemann schaltete sich ein: Die Erde sollte in Container gepackt, vor der Haustür der Geschädigten aufgestellt und dort von Bakterien zerfressen werden. Ein prinzipiell mögliches biologisches Verfahren, doch ein Versuch, den es in dieser Größenordnung noch nicht gegeben hat. Irgend jemand fiel ein, daß man die AnwohnerInnen nicht als Versuchskaninchen benutzen könne. Also versprach Heydemann mehrfach, „das Zeug kommt in 14 Tagen weg und wird biologisch abgebaut“. Nichts davon geschah.
Firmen machten Kostenvoranschläge, angeblich alle inakzeptabel. Hartnäckig hält sich das Gerücht, die Regierung habe nicht reagiert, weil sie längst die traditionelle Lösung - verpacken, auf Deponie verbuddeln, Augen zu und abwarten - im Kopf gehabt habe.
Dafür spricht viel. So wurde etwa der Vorschlag, auf einem Truppenübungsplatz die Kresol-Erde von Bakterien vernichten zu lassen, nicht aufgegriffen. „Die Verhandlungen mit der Bundeswehr hätten die Entsorgung hinausgezögert“, verteidigt sich Heydemanns Sprecher Götze. Der Mann muß an Engholms Gelöbnis vom Montag gedacht haben: das Tempo schleswig -holsteinischer Umweltpolitik solle „nicht nur gehalten, sondern noch verschärft werden“.
Wie man eine Schnecke zum Flitzen bringt, hatte der SPD -Regierungschef und Ex-Blockierer von Atommülltransporten seinen Ministern eingeschärft: Ungeachtet der Proteste und einer ausstehenden Gerichtsentscheidung wird die Kresol-Erde auf die Deponie gefahren. Ende der Durchsage.
Am Freitag hatten vier Trecker und Anwohner den LKW nicht durchgelassen. „Unser Vertrauen liegt im Grab, wann wir?“, fragt ein Transparent, das der 76jährige Bauer Hans Bartels auch am Montag morgen wieder mitbrachte. Hinter seinem Gartenzaun nahm die Deponie 1981 den Betrieb auf. „Klor, häb wi uns domols wehrt“, sagt Bartels, „de häb uns utlacht“. Machtlos sahen die Bauern mit an, wie die Zahl der vorbeidonnernden LKW mit dioxinhaltiger Flugasche sich verzehnfachte, die Menge der giftigen Stoffe von 15 auf 48 erweitert und die Deponiekapazität auf 760.000 Kubikmeter mehr als verdoppelt wurde. Zwei Polder sollen jetzt undicht sein. „Hier lagern giftigere Stoffe als Kresol“, so ein 29jähriger Landwirt, „aber wir haben Angst, daß jetzt eine Hemmschwelle fällt und die in Zukunft alles herbringen, was schnell verschwinden muß“. Nach dem „Wortbruch“ traute sich kein Politiker mehr auf die Dörfer. Ein zerknirschter Dorfsheriff und die Bereitschaftspolizei mußten „das Recht durchsetzen“ und die BlockiererInnen wegtragen.
Weil „wir nicht die Hafenstraße sind“, wollen die Bauern ihre Blockade vorläufig nicht wiederholen. „Aber Engholm, de ward uns no kennenlern“, kündigen sie an. Wenn heute abend ein Verein gegründet wird, dann steht auch eine Sternfahrt zum Privathaus des MP zur Diskussion. Nicht allein deshalb wird die Kresol-Erde die Landesregierung weiter beschäftigen. Sie weiß immer noch nicht, was mit dem eingetüteten Gift geschehen und wer alles zahlen soll. Im August beginnt der Prozeß gegen den LKW-Fahrer, der beteuert: „So etwas tue ich nicht, ich war's nicht“. Chemische Analysen des Tanks und Augenzeugen scheinen ihn jedoch überführt zu haben. Doch dem Wirtschaftsministerium schwant: „Da sind wohl keine Millionen zu holen.“
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