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■ DaumenkinoNaked in New York

Stellen Sie sich vor, Sie wären auf einer Party. Ein Freund hat Sie mitgeschleppt, und von Rechts wegen kennen Sie dort keine Menschenseele. Sie machen sich also auf die Suche nach einem Getränk, nehmen einen Schluck und schauen sich um. Sie sehen: Fidel Castro, Naomi Campell, Juri Gagarin, Yves Saint Laurent, Mr. MacIntosh, Marcel Ophüls und Camille Paglia. Ich hoffe, daß für jeden etwas dabei ist. All diese Leute plaudern mit unbekannten Menschen und machen einen durchaus umgänglichen Eindruck. Die Stimmung ist gut. Ihr Freund, keine große Leuchte, aber ein herzensguter Mensch, hat sich inzwischen von seinem Schock erholt und unterhält sich angeregt mit Kenzaburo Oe.

Wie spricht man so jemanden an? Herr Oe, wie fühlt man sich so als Nobelpreisträger? Herr Ophüls, wie zum Teufel bringen Sie die Leute nur immer dazu, sich um Kopf und Kragen zu reden? Na, Fidel, alle Wasserleichen begraben? Also schön, reißen wir uns zusammen: „Guten Abend, Mrs. Paglia, freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Ich bin auch Schriftstellerin. Solche Partys können ziemlich inspirierend sein, finden Sie nicht?“ „Gelegentlich, entschuldigen Sie mich bitte.“ Und verschwindet.

Danny Algrant hatte mit seinem Debütfilm „Naked in New York“ keine derartigen Probleme. Für seine Party konnte er einige echte New Yorker Pulitzer-Preisträger- Partylöwen wie William Styron verpflichten und die Nebenrollen mit illustren Altstars wie Tony Curtis besetzen. Sein Held Jake hat rein gar nichts von dieser strahlenden Leichtigkeit. Er versucht sein erstes Drehbuch an den Mann zu bringen, und obwohl sein Stück schließlich am Broadway aufgeführt wird, gibt es keinen Grund zum Jubeln. „Schön, es war ein Reinfall. Aber du hast es bis zum Broadway geschafft, und du hast Talent. Eines Tages werde ich voller Stolz sagen: Ich habe das erste Stück von diesem Bastard auf die Bühne gebracht“, sagt der berühmte Produzent und geht davon. Vielleicht hat der Mann recht, aber die Premiere feiert Jake mit Mum und Dad, seine Freundin hat einen Job in Santa Fe angenommen, und er hat seinen besten Freund verloren, dem er die zugesagte Hauptrolle wieder wegnehmen mußte. Algrant erzählt die Geschichte vom ersten Mal – der ersten Liebe und dem ersten Job – ohne falschen Enthusiasmus. „Es passieren so viele neue Dinge, und ich habe das Gefühl, als wäre ich daran unbeteiligt“, sagt Jake verwundert. Und daß diese Verwunderung wirklich ist, ist das Wunderbare an diesem Film. Von den Jungen ist sich niemand sicher, ob er das richtige tut. Eine Haltung, die er mit „Reality bites“ gemeinsam hat. Man kann es Bescheidenheit nennen. Aber nur, weil es aus Amerika kommt. Anja Seeliger

„Naked in New York“. USA 1993, 90 Minuten.

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