■ Daumenkino: Paris, a woman
Wenn Gertrude Stein mit ihren Komillitoninnen abendliche Ausflüge machte, bangte den Damen nicht vor Belästigung: „Wir sagten uns einfach, Gertrude würde auf den obersten Ast des nächsten Baumes klettern und sich auf den Angreifer fallen lassen.“
In Greta Schillers „Paris was a woman“ ist sogar die Stimme der Stein zu hören. Verrauscht und wie aus dem Totenreich flötet sie ein Liebesgedicht für Alice B. Toklas: „Her little tender nose is between her little eyes which close are and very lovely, she is very lovely and mine which is very lovely ...“ Von Djuna Barnes' Wohnung bis zur morbiden Villa der berüchtigten Millionenerbin Nathalie Banrey geht Greta Schillers dokumentarischer Spaziergang. In manchmal etwas chaotischer Polyphonie versammelt „Paris was a woman“ Anekdotisches über diese Amazonen des Pariser Kulturlebens, die an der Rive Gauche rund um den Jardin du Luxembourg bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges ihren verlegerischen, literarischen, exzentrischen und erotischen Beschäftigungen nachgingen. Mit saphischer Philosophie und schwülen Orgien versuchte Nathalie Barney in ihrem Haus das Goldene Zeitalter von Lesbos nachzustellen, ließ nackte Feen ekstatisch durch den Garten hüpfen. Im Film beschreibt ihre wohl bald hundertjährige Haushälterin Berte Cleyrerque das wilde Treiben mit südfranzösischem Akzent und der ganzen Diskretion ihrer eingefallenen Oberlippe: „Miss Barney gab soo viele Empfänge.“ Zwischen Musettewalzern und „Sur les quais de Paris ...“ lauscht man Gisèle Freunds unschlagbarem Englisch („In soß times ser wer meny frensch and german reiters“), erlebt Josephine Baker live, erfährt, daß Ernest Hemingway, kaum in Sylvia Beachs Buchladen angekommen, augenblicklich die Socken auszog, um seine Narben zu zeigen. kn
„Paris was a woman“, Regie: Greta Schiller
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