■ Daumenkino: Hunger
In einsam herumstehenden futuristischen Möbeln werden Wagenladungen von Keksen gehortet, und ein schöner Mensch namens Laura, gespielt von Catherine Fleming, sitzt öfter mal vor seiner schicken Kloschüssel, um die Kekse da reinzukotzen. Das ist nicht mehr der Schick, den man aus den ansonsten ähnlich daherkommenden Yuppie-boy- meets-girl-Filmen kennt, sondern voller Schnitte und grellem Licht und irgendwie ziemlich unangenehm, wird aber bald alles wieder blankgewienert, und frau macht sich vor dem Spiegel frisch.
Das Wörtchen Bulimie wird nicht ausgesprochen, aber Erklärungsansätze lauern allüberall: Lauras Eltern sind reich, aber geschieden, ihr Bruder tödlich verunglückt, sie selbst ein verwöhntes Kind („wenn du mir den Laptop erklärst“, lockt die Frau Mama, „lade ich dich auf die Balearen ein“), das sich in der Kindheit mit dem Cellospiel abquälen mußte. In diesem Zusammenhang feiert die in letzter Zeit doch recht aus der Mode gekommene Rückblende im Regiedebüt von Dana Vávrová, der Frau und Lieblingsschauspielerin von Joseph Vilsmaier, fröhliche Wiedergeburt: Dann dreht sich die Schnecke des Cellos immerzu im Kreis wie ein Hamster im Laufrad und Laura in ihrer Krankheit. Wenn sie durch den Park joggt, fängt sie die Kamera gerne hinter Gittern oder Zäunen ein. In ihren Träumen treiben Teller voller Trauben auf dem Poolwasser vorbei an dicken Damen. „Hunger“ ist der Versuch, einen prätentiösen Kunstfilm mit Moral zu machen. Und mit sozialem Anspruch. Und mit Massenappeal: Auftritt Kai Wiesinger als Simon.
Die Liebe nimmt ihren Lauf, auch wenn sie sich eigentlich nur mit dem ebenso klassischen wie doofen „Gegensätze ziehen sich an“ erklären läßt. Wiesinger trägt Kapuzenshirt, Jeansjacke, Turnschuhe und Dreitagebart und ist Sprayer. Nächtens sprüht er provokante Sachen an Münchener Häuserwände, wenn er sich nicht gerade in Kneipen rumtreibt, wo er auch die Wände vollgesprüht hat, oder im Anzug im väterlichen Juweliergeschäft bedient. Spätestens an der Stelle fragt man sich, ob nicht eher Simon eine Therapie bräuchte statt Laura.
Der Rest ist Kreischen, Brüllen und Türenschlagen, Wegstoßen und Wiederliebhaben. Also eigentlich ja wirklich wie im richtigen Leben. Oder zumindest wie im richtigen Kino, bloß daß man sich nicht wünscht, die beiden mögen zusammenkommen, weil sie doch so nett sind und so gut zueinander passen, sondern nur, weil sie dann niemanden sonst belästigen können. Schließlich bricht ebenso plötzlich wie unerklärlich das Happy-End herein. Die Botschaft ist simpel, aber vielleicht ja auch wahr: Man muß sich erst mal selbst lieben, um andere lieben zu können. Dann nimmt Kai Wiesinger sogar dich. to
„Hunger – Sehnsucht nach Liebe“. Von Dana Vávrová
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