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■ DaumenkinoFür Therese Giese

Für Therese Giese wurde Louis Malle 1975, ja, soll man sagen: zum Tierfilmer? Ihr, die bald darauf starb, widmete er „Black Moon“, einen wunderlichen Film, der ein ganz wunderbarer Film ist. Nackte Kinder singen darin Wagner, und kleine Schweine protestieren, wenn das fremde Mädchen gierig ein Glas Milch leert: „Meine Milch!“

Derweil will Therese Giese ihre Milch nur von der Brust einer schönen jungen Frau. Giese liegt im Bett, hantiert mit ihrem Funkgerät und zankt sich mit der Ratte Humphrey. Nie zuvor und nie mehr danach hat man eine Ratte so beleidigt und so kokett davonwackeln sehen.

Vielleicht ist „Black Moon“ auch ein Pubertätsdrama. Zunächst ist da der Dachs. Er schnürt im Feld herum und bummelt schließlich gemütlich auf der Landstraße. Prompt wird er von einer jungen, forschen Automobilistin überfahren. Während das Mädchen aussteigt, ist Gefechtslärm zu hören, und als sie ihre Fahrt fortsetzt, findet sie sich plötzlich in einem Kriegsgebiet wieder. Grausam wird ein Bataillon Soldatinnen am Straßengraben hingerichtet. Und auch das Haus, in dem Lily (Cathryn Harrison) schließlich Zuflucht findet, ist von einem recht seltsamen Geschwisterpaar (Alexandra Stewart und Joe Dallessandro), der bettlägerigen Alten und merkwürdigen Tieren bevölkert, etwa einem fetten schwarzen Einhorn, das Shakespeare zitiert.

Malle findet hinreißende Bilder für seine verwunschene Alptraumgeschichte, und deshalb kämpft Joe Dallessandro am Schluß mit einem Adler und tötet ihn. Seine Schwester, die genauso aussieht wie er, geht daraufhin mit dem Messer auf ihn los. Mit „Black Moon“, das ist unübersehbar, kommen jetzt die siebziger Jahre noch einmal ins Kino. Therese Giese, die alte Frau, behauptet, daß Lily wegen des Dachses verstört sei und phantasiere. Aber ebenso läßt sich annehmen, daß Mitte dieses Jahrzehnts das Wissen um das Scheitern der Utopien, wie sie etwa das androgyne Geschwisterpaar vertritt, die Menschen verstört und sie von einer ausgebeuteten Natur, schlecht verstandenen Tieren, von Mord und Totschlag träumen läßt. Brigitte Werneburg

„Black Moon“. Buch und Regie: Louis Malle. Mit Therese Giese, Cathryn Harrison, Joe Dallessandro, Alexandra Stewart, Frankreich 1975, 95 Min.

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