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■ DaumenkinoDer Vulkan

Der Nationalsozialismus ist ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte. Insofern passt er gut zum Herbst, der ja bekanntlich auch recht düster ist. Welch lichter Gedanke des Regisseurs, seinen Film über Exil und Nationalsozialismus mit Bildern von Stiefeln im modrigen Herbstlaub zu beginnen! Die noch dazu zu einem Friedhof führen! Das sagt eine Menge, aber sicherheitshalber sagt die ältere Frau am Grab es noch einmal: „Wir wurden in alle Richtungen verstreut wie Herbstlaub ... Künstler, Liberale, Intellektuelle wurden vertrieben, ihre Bücher wurden verbrannt.“

Dem, der da unter der Erde liegt, muss sie das nicht erzählen. Martin Korella (Christian Nickel), ein junger hoch begabter Dichter, emigrierte aus Berlin nach Paris und nahm sich, da ihm weder das Lieben noch das Arbeiten in der Fremde gelingen wollte, mit einer Überdosis das Leben. Es ist eher so, dass die Frau sagt: Hallo Kinder, aufgepasst! Für alle, die die Fakten nicht mehr im Kopf haben – ich hab euch etwas mitgebracht! Deshalb kommt beim Stichwort „Künstler“ auch eine Rückblende und mit ihr eine schöne Künstlerin ins Bild. Sie (Nina Hoss) starrt aus einem Zugfenster und erinnert sich singend in einem Lokal, das von den Nazis gestürmt wird. Flammen lodern übers Zelluloid, als wollten sie das hübsche Köpfchen gleich wieder verschwinden lassen. Aber so schnell geht das natürlich nicht.

Ottokar Runze hat Klaus Manns „Der Vulkan“ verfilmt. Geschrieben 1939 in einem New Yorker Hotelzimmer, drei Jahre nach „Mephisto“, fließen auch in diesen Roman des bis zu seinem Selbstmord 1949 nicht in Deutschland veröffentlichten Schriftstellers reichlich autobiografische Momente: Exilerfahrung, Publikation im Widerstand, Heimweh nach „unserem lieben Deutschland“, der Muttersprache, Homoerotik. Dabei ist die Furcht vor dem Verlust Deutschlands als geistiger Heimat 1999 im intellektuellen Global Village schwer zu verstehen – und Runze gelingt es nicht, für diese einst künstlerisch existenzielle Angst andere Bilder zu finden, als sie aus 25 Jahren Fernsehproduktionen hinlänglich bekannt sind.

In bläuliches Licht getaucht – die Welt war kalt und der Farbfilm noch gar nicht recht erfunden – laufen Menschen in Mänteln einsam durch Straßen oder singen in bester Emigranten-Manier in nächtlichen Cabarets Friedrich Hollaender. Das Überraschendste dieser Inszenierung ist, dass Runze es tatsächlich unternommen hat, ganz Paris von nicht mehr als sechs Statisten darstellen zu lassen. Die bedrückende Stimmung des Buches wird unfreiwillig über hölzerne Fernsehspielatmosphäre produziert. Eine Ehrung Klaus Manns zu seinem 50. Todestag ist verdienstvoll, aber so bringt sie keinen Gewinn. Christiane Kühl ‚/B‘„Der Vulkan“. Regie: Ottokar Runze. Mit Nina Hoss, Christian Nickel, Udo Samel, Meret Becker, u. a. Deutschland/Frankreich 1998, 103 Min.

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