Datenskandal bei der Arbeitsagentur: Durchleuchtete Erwerbslose
Nach Ansicht des zuständigen Bundesbeauftragten Peter Schaar lädt das Vermittlungssystem der Arbeitsagentur zum Missbrauch geradezu ein – die Agentur weist das von sich.
FRANKFURT/MAIN ap | Bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt es Berichten zufolge nicht nur bei der Internet-Jobbörse Probleme mit dem Datenschutz. Die Agentur hat auch massive Probleme bei einem gerade bundesweit eingeführten Computersystem zur Betreuung von Erwerbslosen.
Sensible Daten von Erwerbslosen bundesweit einsehbar
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar bemängelte, dass die Daten von Hartz-IV-Empfängern bundesweit für tausende Mitarbeiter der BA einsehbar waren. Dabei soll es sich teils um sensible Angaben über Suchterkrankungen, Schulden, Wohnungsproblematik bis hin zu schwierigen familiären Verhältnissen handeln.
Der "Frankfurter Rundschau" liegen nach eigenen Angaben zahlreiche Schreiben von Personalräten aus dem ganzen Bundesgebiet vor, die das System datenschutzrechtlich für hoch gefährlich halten. Es bestünden "erhebliche Bedenken zum Sozialdatenschutz", zitiert die Zeitung aus einem Schreiben aus Hamburg.
"Verletzung des Sozialgeheimnisses"
Der Berliner Hauptpersonalrat sieht demnach "das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger verletzt" und warnt seine Beschäftigten, sich nicht "einer Verletzung des Sozialgeheimnisses schuldig zu machen".
"Man hat uns erst informiert, als das System freigeschaltet werden sollte", sagte Schaar der "Frankfurter Rundschau" zufolge. Die späte Information sei nicht akzeptabel. "Ich habe gedrängt, das System wegen massiver datenschutzrechtlicher Bedenken nicht in Betrieb zu nehmen", sagte Schaar demnach.
Doch die Arbeitsagentur habe das bundesweite Programm gegen das Drängen der Datenschützer mit einigen Einschränkungen gestartet. Dass beim Thema Daten "höchste Sensibilität angebracht" sei, "das haben einige Verantwortliche bei der Bundesagentur offensichtlich noch nicht begriffen", sagte Schaar.
Bundesagentur weist Schaars Kritik zurück
Diese Darstellung Schaars weist die Bundesagentur von sich: Man habe bereits nach ersten Hinweisen sofort reagiert und noch vor dem Start technisch sichergestellt, dass sensible Daten "nicht mehr uneingeschränkt bundesweit" durch Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung eingesehen werden können.
Diese Daten stünden seitdem nur noch einem eingeschränkten Nutzerkreis zur Verfügung. Die Einhaltung des Datenschutzes in den IT-Systemen der BA würde "in enger Abstimmung mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz regelmäßig überprüft und bei Bedarf verbessert", behauptet die Bundesanstalt.
Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gefordert
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth warf der Bundesanstalt vor, sie sei "nicht Willens, einfachste Schutzvorkehrungen in ihrer Jobbörse einzurichten". Roth forderte ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Jan Korte, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, wies darauf hin, dass seine Fraktion in den vergangenen Jahren immer wieder Initiativen für ein solches Gesetz gestartet hatte.
"Das ist ja ein Dauerzustand, was da passiert", beklagt Korte. Jetzt sei es an der Zeit, abermals einen Anlauf für ein wirksames Arbeitnehmerdatenschutzgesetz zu wagen. "Immerhin gab es schon mehrmals gemeinsame Beschlussempfehlungen für ein solches Gesetz," so Korte, "unterstützt von CSU bis Linke". Man werde vor allem jetzt sehen, ob die FDP ihre "vollmundigen Wahlversprechen in diesem Bereich" umsetzen könne.
Grünen-Arbeitsexpertin Brigitte Pothmer kritisierte: "Stichprobenartige Kontrollen der Arbeitsagentur verhindern offensichtlich nicht, dass Adressen, Lebensläufe und Zeugnisse von Menschen, die einen neuen Job suchen, an fiktive Arbeitgeber verschickt werden und so quasi für jeden zugänglich sind."
Im September fanden sich in der Jobbörse nach Angaben der BA fast 3,8 Millionen Profile von Bewerbern und knapp 600.000 Stellenangebote von mehr als 55.000 Arbeitgebern.
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