Datensammelwut der Dresdner Polizei: Noch eine Million Daten
Bereits 2009 hat die Dresdner Polizei mehr als eine Million Handydaten abgefischt – ohne Ermittlungserfolg. Datenschützer fordern jetzt eine Gesetzesänderung.
Die Datenaffäre in Dresden hat eine neue Dimension erreicht. Wie jetzt bekannt wurde, haben die Ermittlungsbehörden bereits vor zwei Jahren mehr als eine Million Handyverbindungsdaten ermittelt. Zudem wurden personenbezogene Daten wie Name und Anschrift von mehr als 80.000 Anschlussinhabern an die Polizei übersandt.
Die damalige Funkzellenabfrage bezog sich auf Ermittlungen wegen eines Brandanschlags auf Fahrzeuge der Bundeswehr in Dresden vom April 2009. Untersuchungen des Tatorts ließen darauf schließen, dass der oder die Täter einen ungezündeten Brandsatz in eine schwarze Ordnungskiste gepackt hatten, die nur bei der Baumarktkette "Obi" erhältlich ist. Deshalb ließen sich die Ermittler von der Baumarktkette 162.000 Kassenzettel aus ganz Deutschland schicken, auf denen solche Kisten aufgelistet waren.
Außerdem beantragten sie im September – also fünf Monate nach der Tat – eine Funkzellenabfrage. Dies war nur möglich, weil zu diesem Zeitpunkt noch die umstrittene Vorratsdatenspeicherung in Kraft war und die entsprechenden Verbindungsdaten noch bei den Providern gespeichert waren.
"Die Ermittlungen der Funkzellendaten beschränkten sich auf den Umkreis des Tatortes des Brandanschlags, weil die Möglichkeit besteht, dass die Täter ihr Vorgehen telefonisch oder durch SMS am Tatort und in dessen unmittelbarer Nähe koordiniert haben", heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD in Sachsen. Die dabei "über mehrere Tage erhobenen 1.120.535 Verbindungsdatensätze" seien aber nicht mit den Daten aus den Zahlungsvorgängen von "Obi" abgeglichen worden.
250 Personendaten gezielt abgefragt
Wie die Dresdner Staatsanwaltschaft der taz bestätigte, hat ein Mobilfunkanbieter unaufgefordert mit den Verkehrsdaten, also den Angaben der Handynummern und der entsprechenden Verbindungen, zudem personenbezogene Bestandsdaten von 82.665 Personen übermittelt. Dies war laut damaliger Rechtssprechung, vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung, zulässig. "Die Bestandsdaten sind nicht ausgewertet worden. Aufgrund weiterer Ermittlungen hat das LKA Sachsen die Bestandsdaten von etwa 250 Personen abgefragt", so die Staatsanwaltschaft. Diese 250 Personen kamen für die Ermittler wohl als potenzielle Täter in Frage. Die restlichen Daten sollen gelöscht werden, sobald dies technisch möglich sei.
Der Sächsische Datenschutzbeauftragte will diesen Fall ebenso prüfen wie die bereits bekannten massenhaften Abfragen von Handydaten im Umfeld der Anti-Naziproteste vom Februar 2011.
Sabine Friedel, innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in Sachsen sagte, bemerkenswert an diesen Ermittlungen von 2009 sei, dass gleich von mehreren Tagen Handydaten abgefischt wurden. Was diese Daten für die Ermittlungen der vermeintlichen Täter des Brandanschlages beitragen können, sei unklar.
Alle Daten sind weiterhin gespeichert
Trotz der umfangreichen Ermittlungen - neben "Obi"-Kassenzetteln und der Abfrage von mehr als einer Million Handydaten wurden auch 4.000 Personen als Zeugen befragt – sind die Täter bis heute nicht ermittelt, sämtliche Daten also noch immer gespeichert.
Datenschützer von Bund und Ländern fordern unterdessen strengere Regeln für Funkzellenauswertungen. Anlass für ihre gemeinsame Forderung vom Mittwoch ist der von der taz aufgedeckte Handydaten-Skandal von Dresden.
Bei einer Funkzellenabfrage müssen Telefonfirmen der Polizei nach richterlichem Beschluss mitteilen, welche Handy-Nutzer in dieser Funkzelle wann mit wem telefoniert haben. Da sich in einer Funkzelle meist einige Tausend Menschen aufhalten, sind von dieser Fahndungsmethode zwingend viele Unbeteiligte betroffen. Die Inhalte der Gespräche und Kurznachrichten sind von einer Funkzellenabfrage nicht betroffen.
Funkzellenanalyse kann leicht missbraucht werden
Die Datenschützer fordern nun die gesetzliche Regelung einzuschränken. Schließlich spiegelten die Telefonkontakte das soziale Netz des jeweiligen Handy-Nutzers wieder, auch seine Kontakte zu Parteien, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen. Außerdem könnten die Daten ausgewertet werden, um Verdachtsmomente wegen neuer Straftaten zu schöpfen, die an sich eine Funkzellenanalyse gar nicht erlaubt hätten. In Dresden war die Abfrage angeordnet worden, um Gewalttaten gegen Polizisten zu untersuchen. Später landeten die Daten aber in Ermittlungsakten wegen der Störung einer rechten Versammlung durch Sitzblockaden.
Bisher sind Funkzellenabfragen rechtlich zulässig, um wegen Straftaten von "erheblicher Bedeutung" zu ermitteln. Die Datenschützer fordern den Bundestag nun auf, den Anwendungsbereich für Funkzellenabfragen einzuschränken. Sie machen aber keinen konkreten eigenen Vorschlag. Außerdem sollen die erhobenen Daten künftig "unverzüglich" auf das zur Strafverfolgung Erforderliche reduziert werden und die Löschungsvorschriften sollten präzisiert werden, so die Resolution.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen