berliner szenen: Dass der Abend so endet
Das hab ich noch nie gemacht“, sagte eine Frau am Nachbartisch am späten Abend in einer Bar in Kreuzberg so laut, dass ich es hören konnte, obwohl ich es gar nicht wollte, und erst dann machte es Klick bei mir. Aber fangen wir noch mal von vorne an.
Ich hatte gestern Abend beschlossen, zum Schreiben in eine Bar zu gehen. Im hinteren Raum, der nur mit Kerzenschein beleuchtet war, setzte ich mich an einen kleinen Tisch, der die notwendige Stille zum Schreiben versprach. Der Raum war so gut wie leer. Nur am Nachbartisch saßen eine Frau und ein Mann. Sie trank Wein, er Wodka. Sie schienen vertraut zu sein, wie alte Schulfreunde, die eine Tischkante voneinander trennte. Sie redeten und redeten, während ich tippte und tippte. Sie tranken und tranken, während ich an meinem Glas Weißwein nippte.
Ich ging auf die Toilette, und als ich zurückkam, sang die Frau dem Mann etwas ins Ohr. Ja, sie wirkten wirklich vertraut, und keine Tischkante trennte sie mehr.
Eine Stunde später kam ich mit einem neuen Glas Wein zurück, und plötzlich hatte sich mein imaginiertes Bild verändert. Die Frau und der Mann saßen eng umschlungen, und dann küssten sie sich innig und lange.
„Das hab ich noch nie gemacht“, sagte die Frau nach dem Kuss zu dem Mann, der irgendetwas darauf antwortete, sehr leise, sodass ich es nicht verstand. Ich tippte weiter, sie küssten sich weiter. Ich hörte etwas von „Tinder“. Ach so, ich war also ungewollt Zeugin eines Tinder-Dates geworden.
Irgendwann hatte ich genug vom Schreiben und vom Wein. Ich trank den letzten Schluck und klappte meinen Laptop zu. Als ich aufstand, hörte ich die Frau sagen: „Hättest du gedacht, dass der Abend so endet?“ Nein, hätte ich am liebsten geantwortet, ließ es aber bleiben.
Eva Müller-Foell
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