: Das totale Bild
In den Hochglanzprints manifestiert sich der feste Glaube nicht an irgendeine Realität, aber an das schöne Bild an sich: Andreas Gursky zeigt im Haus der Kunst Panoramen des Unermesslichen
VON IRA MAZZONI
„Diese Räume sind wie geschaffen für meine Bilder!“ So schlicht diese Worte dem Fotokünstler Gursky über die Lippen kommen, so ungeheuerlich sind sie. Die Rede ist von den kalt klassizistischen Ausstellungssälen im Haus der Kunst, 1933–37 im Auftrag Adolf Hitlers nach den Plänen des Architekten Paul Ludwig Troost gebaut und der Propaganda gewidmet. In den letzten drei Jahren hat Chris Dercon, Leiter des Ausstellungshauses, dafür gesorgt, dass die Architektur von allen kaschierenden Bemäntelungen befreit wurde und jetzt wieder pur dasteht: steinern wuchtig, monumental. Längst ist der Ideologie-Verdacht gegen die Architektur obsolet. Die Stimmen mehren sich, die diesem Bauwerk wieder ästhetischen Respekt zollen. Der Ausstellungsflügel östlich der Ehrenhalle wird geprägt durch einen riesigen Oberlichtsaal und elf umliegende kabinettartige Räume. Gursky hat diese durch Marmor-Portale verbunden Raumfolge nochmals reduziert: Kein Galerie-Spotlight hängt mehr von der Decke. Gelbliche Sonthofener Kalksteinplatten, weiße Wände, tiefe Hohlkehlen und der Glasspiegel der Decke bestimmen die Dimension der Säle. „Jedes Bild sucht sich seine Wand“, erklärt Gursky sibyllinisch seine puristische Ausstellungsstrategie, die im Mittelsaal nicht aufgehen konnte. Selbst die Formel-1-Boxenstopp-Panoramen verlieren sich in der groß gedachten Leere. Sind die Räume deswegen „wie geschaffen“ für die Bilder, die geradezu leitmotivisch Leere in altmeisterlichem Format widerspiegeln?
„Meine Bilder haben mit Malerei nichts zu tun“, behauptet der Künstler. Doch alle Erläuterungen zum synthetischen Produktionsprozess machen deutlich, dass Gurskys Bilder den Gesetzen der idealen Landschaftsmalerei folgen. Dabei wählte der Künstler aus beobachteten Elementen jene, die sich zu einem eingebildeten, harmonischen Ganzen zusammenfügen ließen. Gursky komponiert seine Bilder wie die Maler des 17. bis 19. Jahrhunderts. Wo diese meinten, ein überzeitliches Ideal zu erfassen, da destilliert Gursky eine so genannt globale Essenz. Das Oszillieren zwischen Nah- und Fernsicht, zwischen Freiheit und Ordnung, Chaos und Ornament, das die Faszination der Fotomontagen ausmacht, gehörte bereits zu den Bauprinzipien der um Gleichgewicht bemühten Malerei. Vielleicht liegt darin auch das Erfolgsgeheimnis der Hochglanzprints: Sie manifestieren den festen Glauben nicht an irgendeine Realität, aber an das schöne Bild an sich. Egal welches Motiv sich Gursky sucht, seien es nun die Rinderfarmen in Greenly (2002) oder eine Korbflechterei in Nha Trang (2004), die Bilder sind oberflächlich gigantisch schön. Jedes erzählerische Moment kommt zu Stillstand. Diese globalisierte Welt lässt sich nicht mehr erzählen. Sie lässt sich allenfalls in einem Extrakt zeitlich differenter Zustände zu einem faszinierenden Bild montieren. So wirken die am Nürburgring und in Shanghai gesammelten Boxenstopp-Momente, zum Bild digital verdichtet, wie dramatische beleuchtete Historienbilder von Caravaggio: eine Schlacht leuchtender Farben, Weiß gegen Rot vor asphaltschwarzem Grund. Das Bild triumphiert über den Gegenstand.
Immer noch schafft eine altmodische Großformat-Kamera die Grundlagen für die bis an die Ränder scharf gezeichnete Brillanz. Mit diesem feststehenden Aufnahmegerät, das Gursky bevorzug weit oberhalb und außerhalb gewohnter Standpunkte montiert, produziert er Serien von Momentaufnahmen, die später digital zu einer überzeitlichen Ikone verschmolzen werden. Zum Beispiel das Bild der Madonna-Show: Ein riesiges Hochformat, in dem der Betrachter genauso schwebt und schwimmt wie die abgebildeten Zuschauer, die Seiltänzer, die Apparate. Was unten und oben ist, hinten und vorne, kann man nicht erkennen. Das ganze Bild wird beherrscht von einem einzigen Wimmeln und Wogen. Allein die Person, von der die Inszenierung eigentlich ausgeht, steht starr, klein, unbeteiligt, verloren am Rande. „Die einsame Masse“ heißt der Soziologen Klassiker von David Riesman. Gursky zeigt die einsame Verlorenheit in der Masse, die stets als verführerisches Ornament erscheint. Dass Gurskys Bilder sich dennoch nicht im ornamentalen Nur-Schönen erschöpfen, liegt an der geradezu romantischen Rückbindung seiner Idealbilder: Der Neutrino-Versuchsstollen im japanischen Kamioka, in dem versucht wird, den Zustand der Welt eine Millionstel Sekunde nach dem Urknall zu rekonstruieren, erscheint im Format 2,22 x 2,95 Meter ähnlich metaphysisch wie John Martins Mezzotintostiche zu Miltons Weltgedicht „Paradise Lost“. Und jene winzige rote Gondel, die im Nebelnichts der Dolomiten hängt, ist sie nicht das fotografische Pendent zu Kaspar David Friedrichs „Mönch am Meer“? „Der Rhein ist nicht der Rhein, wenn ich ihn fotografiere“, sagt Gursky und bekennt sich damit zum Symbolismus seiner Ikonen. Das Bild ist stets auch Metapher. Zumal der Betrachter sein Bildgedächtnis nicht einfach ausblenden kann. Angesichts der neuen Serie „Pyongyang“, die die Massenornamente des nordkoreanische Staatsschauspiels Arirang abbildet, fragt man sich allerdings, ob hier, anders als bei dem Madonna-Bild, eine Inszenierung nicht tatsächlich nur purifiziert reproduziert wurde, und zwar genau von dem Punkt aus, auf den sie berechnet ist: der Loge des Diktators. Das Metaphorische scheint in diesen Bildern getilgt. Wenigstens hängen dies Farbenteppiche nicht im Mittelsaal des Hauses der Kunst. Sie werden aber auch nicht mit dem 99-Cent-Diptychon konfrontiert. Der Fotograf enthält sich jeder (allzu schlichten) Botschaft. Doch was ist ein Bild: Warum ist ein leeres, von Lindgrün bis Rosa schimmerndes Prada-Store-Regal ein Bild? Oder warum ist der Jackson Pollock, der auf der Museumswand einen Streifen zwischen Teppichboden und Galerielicht einnimmt, ein Werk, das sechs Quadratmeter Fläche beanspruchen darf? Weil es in der Summe aller Farben die Essenz aller Lichtbilder repräsentiert: den Grauwert? Weil es das Prinzip des All-Over nochmals paradigmatisch vorführt und mit dem monumentalen Ausstellungsraum harmonisiert?
Die Schau vereint 46 Künstlerexemplare aller Werkphasen, 1987 angefangen. Die frühen Arbeiten wurden den aktuell bevorzugten Riesenformaten angeglichen. Was nicht allen Bildern bekommt. Normalerweise liefert Gursky wie Bildhauer eine 6er-Auflage seiner Werke. Die Künstlerexemplare ermöglichen es, eine Tournee zu starten, ohne die erlauchten Sammler um langfristige, sensible und hoch versicherte Leihgaben bitten zu müssen. Zudem ermöglichen die Prints, dass die Bilder in taghellen Räumen gezeigt werden können. Aufgrund zahlreicher Gursky-Porträts und Reportagen in den Medien ist die Aufmerksamkeit für diese Fotoausstellung, die später noch in Istanbul und Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten gezeigt wird, riesig groß. Erstmals in der Ära Dercon könnten sich Schlangen vor dem Haus der Kunst bilden.
Bis 13. Mai, Katalog (Snoeck Verlag Köln) 68 €