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Archiv-Artikel

„Das steht so nicht im Wahlprogramm“

Schröders Reformkurs „benötigt zusätzliche Legitimation“, meint Hans-Peter Bartels – und will einen Sonderparteitag

taz: Herr Bartels, Ihr SPD-Landesverband in Schleswig-Holstein wollte einen Sonderparteitag – und Parteichef Schröder gibt nach. Was muss dort geschehen?

Hans-Peter Bartels: Es ist die Chance, endlich zu vermitteln, was bisher weder den Mitgliedern noch den Bürgern wirklich klar geworden ist – warum wir den Sozialstaat reformiern.

Hat Schröder zu spät eingelenkt?

Es wäre nicht falsch gewesen, wenn das Präsidium früher initiativ geworden wäre.

Es überrascht, dass Sie schon vor Schröder für den Parteitag waren. Schließlich gehören Sie dem SPD-„Netzwerk“ an, das den Reformkurs verteidigt.

Ich unterstütze voll die Richtung der Reformen. Aber die „Agenda 2010“ und das, was noch danach kommen wird, benötigt zusätzliche Legitimation. Keine der geplanten Maßnahmen steht so im Wahlprogramm.

Droht eine Rebellion?

Überhaupt nicht. Es gibt Unruhe, aber niemand bestreitet, dass wir die Sozialsysteme reformieren müssen. Alle Redner auf unserem Parteitag haben sich grundsätzlich zur „Agenda 2010“ bekannt.

Bei so viel Einigkeit mit dem Kanzler: Wieso fordern derart viele in der SPD einen Sonderparteitag?

Wir haben gerade einen Kommunalwahlkampf hinter uns. Und an den Straßenständen ist uns viel Unverständnis entgegengeschlagen. Wir haben den Wählern und den Mitgliedern noch nicht wirklich klar gemacht, was das Sozialdemokratische an den Sozialreformen ist.

Es gibt massive Kritik von den Linken. Wo sehen Sie Kompromissmöglichkeiten?

Bei der Bezugsdauer vom Arbeitslosengeld I gibt es Spielräume – indem man etwa die Länge des Erwerbslebens berücksichtigt. Und bei der Höhe des Arbeitslosengeldes II – der zusammengelegten Arbeitslosen- und Sozialhilfe – wird es für Familien noch Differenzierungen geben, die Partei und Fraktion gut mittragen können. Mir scheint sowieso, dass solche Kompromisslösungen bei Schröder von vornherein angelegt waren.

Warum haben das bis jetzt nicht alle schon eingesehen?

Bisher ist über den völligen Paradigmenwechsel zu wenig gesprochen worden. Wir müssen und wollen wegkommen von der reinen Beitragsfinanzierung – das heißt von der Belastung des Faktors Arbeit – und hin zu stärkeren Steuerfinanzierung. In etlichen Maßnahmen der „Agenda 2010“ steckt dieses Denken schon drin. Wir brauchen diese Strukturreform, wenn auf zwei Erwachsene nur noch 1,3 Kinder kommen. Da funktioniert das alte System langfristig nicht mehr.

Welche Steuern wollen Sie denn erhöhen?

Wie bei der Ökosteuer für die Rente sollten es vor allem Konsumsteuern sein: So könnte eine erhöhte Mehrwertsteuer die Sozialversicherungsbeiträge drastisch senken – das wäre ein Weg.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN