: „Das sind die Hollywood-Bilder von Jesus“, sagt Thies Gundlach
Mel Gibsons „Die Passion Christi“ setzt auf erprobte Kinomittel: viel Blut, viel Gewalt. Machen Splatter-Filme fromm?
taz: Herr Gundlach, Sie haben Mel Gibsons „Die Passion Christi“ gesehen. Wie ging es Ihnen danach?
Thies Gundlach: Wie jemandem, dem man zwei Stunden lang immer wieder das Gleiche erzählt hat. Der Film zeigt ja, sehr grob und direkt, die Wunden des Erlösers.
Sind die Folterszenen durch die Bibel verbürgt?
In der Bibel steht ein Halbsatz „und sie geißelten ihn“. Mehr nicht. Gibson macht daraus ein Viertel des Films. Aber man kann sich vorstellen, dass es so brutal zuging, wie der Film es zeigt.
Die Gewalt scheint auf zweierlei zu zielen: Überwältigung und eine Art religiöses Erschaudern. Macht Splatter fromm?
Vielleicht einige in den USA – mich nicht. Noch eine Wunde, noch mehr Blut – ich glaube nicht, dass dies der Frömmigkeit dient. „Die Passion“ ist ein Hollywood-Film: eindrücklich inszeniert – und sehr äußerlich. Die Machart ist sehr einfach: „Das tat weh, das zeige ich.“ Das kommt mir so vor wie jemand, der den Satz „Ich liebe dich“ veranschaulicht, indem er Speichelfäden eines Kusses zeigt.
Gewalt im Kino ist immer zwiespältig. Jede Gewaltszene spekuliert mit der Lust am Zusehen. Wir wollen sehen, wenn der Rabe dem Schächer am Kreuz das Auge aushackt …
Die Szene gibt es nicht in der Bibel. Es ist ein typisches Bild für das Äußerliche dieses Films: Kaum sagt der zynische Schächer etwas Böses zu dem Erlöser, schon schickt Gott den Raben – als Strafe. Das ist eine erstaunliche naive Vorstellung von Gott.
Verrät die Gewaltfaszination von „Die Passion“ das Familiengeheimnis des Christentums: die unter Moral versteckte Lust an der Gewalt?
(lacht) Diese Frage habe ich befürchtet. Richtig ist, dass jemand, der mit dem Christentum unvertraut ist, diesen Film so sehen kann: als Zeugnis einer gewalttätigen Religion. In der Tat hatte das Opfer des Sohns für den Vater eine lange Tradition. Wir, als evangelische Kirche, haben diese Deutung hinter uns gelassen und verstehen heute Christus als einen Liebesbeweis Gottes, der bis an die Grenzen des Sichtbaren geht und die äußerste Gottesferne erträgt; und eben das ist Christi stellvertretendes Opfer.
Gewalt ist nicht die versteckte christliche Botschaft?
Nein. Das Christentum erzählt von der Überwindung der Gewalt. Denken Sie an das erste Buch Moses, an die Opferung Isaak, des Sohns von Abraham, auf die Gott verzichtet. Das ist das Symbol für die Ablösung des Menschenopfers durch das Tieropfer. Im Neuen Testament ist das Kreuz Christi die endgültige Überwindung aller Blutopfer.
Also ist „Die Passion“ ein Rückschritt, weil er das Blutopfer visuell remythisiert?
Ja, es ist ein Rückschritt, weil es den Gedanken des Opfers so stark veräußerlicht. Die evangelische Theologie ist durchaus nicht gegen die Idee des Opfers – aber doch sehr gegen die Vorstellung, dass durch noch einen Schmerz, noch einen Hieb, noch einen Hautfetzen, das Opfer tiefer und größer wird. Remythisierung scheint mir dafür ein zu schönes Wort zu sein.
Können Sie „The Passion“ etwas Positives abgewinnen?
Mit etwas Anstrengung könnte man sagen, dass diese Art, das Blut spritzen zu lassen, wohl ein Gegenmittel zu der rationalen, aufgeklärten, aseptischen Frömmigkeit ist, die es in Europa gibt. Nur „lieber Gott“ ist auch langweilig – und der Film könnte sich gegen solch ein Gottesbild wenden. Diese Frömmigkeit hat es bei Protestanten und Katholiken immer gegeben, etwa in der deutschen Mystik. Gibson hat das nicht erfunden. Neu ist nur die Brutalität der Darstellung.
Wie bibeltreu ist denn diese Schilderung?
Gibson zitiert aus allen vier Evangelien, Matthäus, Markus, Lucas, Johannes, was er braucht . Auch das ist nicht neu, man nennt das Evangelienharmonie. Historisch verbürgt ist im Detail aber nichts. Die Evangelien sind ja Nacherzählungen etwa 40 bis 70 Jahre nach den Ereignissen.
Und was sagt dieser Evangelienmix?
Gibson macht daraus eine übertriebene, skurrile Schmerzensmann-Frömmigkeit.
Ist das typisch für den christlichen Fundamentalismus in den USA?
Mel Gibson selbst ist erzkonservativ-katholisch – aber der Film ist bei radikalen Evangelikalen äußerst beliebt. Er passt zu der evangelikalen Auffassung: Mit jedem Schlag, den Jesus erleidet, seht ihr eure Sünden.
Die Juden tauchen als Mob auf, die römischen Soldaten als gewaltlüsterne SA-Knechte. Nur Pontius Pilatus erscheint als aufgeklärte, tragische Figur, die nicht stoppen kann, was passiert. Ist das bibelkonform?
Es ist nicht weit weg von der Bibel, aber wohl von der historischen Wahrheit. Historisch verbürgt ist, dass Pilatus ein paar Jahre nach der Kreuzigung Jesu wegen zu viel Grausamkeit von Rom abberufen wurde. Die Bibel stellt die Römer freundlicher und die Juden böser dar – denn die Autoren hatten im Jahre 70 oder 100 nach Christi Geburt das Interesse, mit den Römern klar zu kommen.
Finden Sie „Die Passion“ antisemitisch?
Wer antisemitische Bilder sucht, findet sie dort auch. Aber generell antisemitisch – nein. Vor allem aber widerspricht dem Gibsons Theologie. Die Botschaft lautet: Jeder, du und ich, hat Schuld am Leiden des Erlösers. Es geht um die Schuld des Einzelnen bis heute, nicht um Völkisches.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE