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Ein morgen ohne gesternDas schwarze Gedächtnis

Riologie

Aus Jardim Botânico

Suzana Velasco

Zwei US-Amerikaner betrachten Häuser im Kolonialstil hinter dem Olympischen Boulevard beim Hafen. „Gab es in Brasilien spanische Kolonisation?“, fragt der ältere Tourist. „Portugiesische“, antwortet der andere. Wahrscheinlich wissen sie nicht, dass hier, am ehemaligen Valongo-Kai, mindestens 700.000 Sklaven aus Afrika ankamen – mehr als an jedem anderen Hafen Amerikas. Die Geschichte ist den renovierten Fassaden nicht anzusehen.

Der Fußweg am Meer, früher eine Stadtautobahn, begeistert Besucher und Einwohner. Insbesondere die letzten zwei Wochen wurden sehr lebendig gestaltet mit Übertragungen auf Großbildleinwänden, Künstlern und Konzerten. Die rund 2,76 Mil­liar­den Euro teure Verwandlung sei „das größte Vermächtnis der Spiele“, wiederholt Bürgermeister Eduardo Paes gern, sie wurde aber nur durch eine öffentlich-private Partnerschaft ermöglicht. Drei Bauunternehmer – zwei unter Korruptionsverdacht – besitzen ein Baurecht im Areal. Es gab weder sozialen Wohnungsbau noch Verbesserungen in ärmeren Vierteln wie Morro da Providência, der ersten Favela Brasiliens von 1890.

In den Baugruben fand man Relikte aus der Sklavenzeit, Ton­objekte und Kaurimuscheln, die in der afrobrasilianischen Religion Candomblé benutzt werden. Forscher drängten auf weitere Ausgrabungen, aber die Stadtverwaltung hatte Eile. Wie gewöhnlich wollte Brasilien ohne Erinnerung in der Zukunft ankommen. Das „Museum von morgen“ ist denn auch der Star des Wunderhafens. Das Gebäude des spanischen Architekten Santiago Calatrava, dessen Inhalt die Sorge um die Umwelt behandelt, steht an der verdreckten Guanabarabucht.

Kunst beschwört unser Gedächtnis im Hafengebiet. Als die Sängerin Elza Soares bei einem Auftritt sang: „Das billigste Fleisch auf dem Markt ist das schwarze Fleisch.“ Als Touristen, die mit schwarzen Männer und Frauen in einer renovierten Lagerhalle Charme und Passinho tanzten. Und wenn sich jeden Montag Musiker auf der Pedra do Sal treffen, wo früher ein Sklavenmarkt stattfand und an dem die Nachkommen der Sklaven den Samba erfanden.

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