"Das rote Zimmer" von Rudolf Thome: Wie sie die Angeln werfen
Kussforschung und Liebesexperimente. "Das rote Zimmer", der neue Film von Rudolf Thome, zeichnet sich vor allem durch eine besondere Form von Ironie aus.
Spät im Film sagt Fred (Peter Knaack) einmal, er komme sich vor wie eine Fliege, die ins Spinnennetz geraten ist. Dann blickt er auf seine Hand und man sieht eine Fliege darauf krabbeln. Keiner hat die Fliege dahin gesetzt. Sie war rein zufällig da, man ist auf dem Land, die Kamera hält das ephemere Tier für die Ewigkeit fest. Dennoch wird sie in ihrer bescheidenen Art zum schlagenden Zeichen dafür, dass ein Realfilm auch als Spielfilm immer zugleich Dokumentation dessen ist, was vor der Kamera zum Zeitpunkt der Aufnahme wirklich geschah.
Das Glück dieses von der Kamera festgehaltenen Zufalls ist bezeichnend für die Filme von Rudolf Thome. Der Regisseur, der seit vielen Jahren seine Drehbücher selbst schreibt, ist ein gewitzter Geschichtenerzähler, ein Erfinder von Versuchsanordnungen und Liebeskonstellationen um Männer und Frauen. Sein eigentliches Interesse gilt aber nicht den von ihm gesponnenen Netzen, sondern den Fliegen und anderen Tieren, die sich darin verfangen.
In Thomes neuem Film "Das rote Zimmer" ist das Fred, der an zwei Frauen gerät. Sibil (Seyneb Saleh) und Luzie (Katharina Lorenz) leben in Ostvorpommern auf dem Land und sind ein Liebespaar. Fred ist an der TU Berlin Kussforscher (gibt es wirklich), Luzie schreibt Romane. Gemeinsam mit Sibil arbeitet sie nun an einem Buch über die Seele der Männer. Der Forscher Fred wird folglich zum Forschungsobjekt.
Vieles an Rudolf Thomes Filmen ist wundersam. Am allerwundersamsten ist die Ironie, die sie prägt. Ironie ist in der Regel eine Geste der Distanzierung, eine Haltung, mit der man sich potenziell Peinliches vom Leibe hält. Nicht so bei Thome. Seine Ironie widerspricht nämlich niemals der bedingungslosen Liebe zu den Figuren, sie mildert nicht, sondern schärft, und sie steht auch nicht im Gegensatz zum Märchenhaften, das seinen Erzählungen eignet.
So kann eine Frau nackt einem See in Vorpommern entsteigen und sehr ernsthaft zu Fred sagen, er dürfe sie Venus nennen, sie sei die Göttin der Liebe. In ähnlicher Weise stand in "Das Geheimnis" einst Marquard Bohm mit einem riesigen Holzkreuz auf seiner Schulter vor einer Haustür und sprach: "Ich bin Jesus Christus." Ironie bei Thome heißt: Er schreibt keinem vor, wie die oft absonderlichen Dinge, die da geschehen, zu nehmen sind. Das ist ein starkes Stück Freiheit, ja, eine Zumutung. Schon gar, wenn im nächsten Moment dann Spagetti mit Butter und Käse für Jesus Christus zubereitet werden.
Dieses Gericht wird auch in "Das rote Zimmer"gekocht. Zur Ironie und dem Märchenhaften und den großen Worten wie dem vom "Mysterium der Liebe" kommt unweigerlich das Banale. Die Liebesexperimente, zu denen sich Luzie, Sibil und Fred durchaus auch kussforschend hier versteigen, enden regelmäßig mit dem gemeinsamen Ansehen ausgerechnet der "Tagesschau". Märchenmotive, Tagesreste, ein Mann, zwei verführerische Frauen: Fred weiß nicht, wie ihm geschieht, und ist damit eine sehr typische Thome'sche Männerfantasie. Dieser Regisseur träumt von parzenhaften Frauen und von weltfremden Männern und erzählt, wie sich das ineinander verstrickt.
Alles Gelingen ist hier Sache des Tons. Katia Tchemberdji macht dazu eine tolle Musik. Wie ein durchsichtiger Firnis ist sie auf die Oberflächen getupft und entrückt das, worauf sie fällt, sanft dissonant in eine andere Welt. Fabelhaft in sich ruhen auch die Bilder der Kamerafrau Ute Freund. Es ist bei aller Genauigkeit viel Luft zum Atmen in ihnen. Die größte Lust aber ist es, den großartigen Schauspielerinnen und Schauspielern dabei zuzusehen, wie sie Angeln werfen, sich in Worten und Blicken verständigen, dabei in ihren Rollen nicht aufgehen, sondern zugleich die Individuen sind, die sie sind. Die Blicke und Haltungen, die Arten des Sitzens und Schweigens und Lachens, des Verführens und des Irritiertseins, des Lauerns und des Kosens sind immer nur ihre.
Das ist, wenn man es genau betrachtet, in den darstellenden Künsten grundsätzlich so. Bei Thome aber wird das Eigene der Darsteller in aller Selbstverständlichkeit als das Eigentliche der Erzählung sichtbar. Nichts geht darum je ganz auf in den Geschichten, nie wird man zu eindeutigen Gefühlen erpresst. Die Wahrheit über die Netze, die Thome spinnt, ist, dass ihre Fäden nicht kleben. Man verfängt sich aber umso lieber darin und legt sich wie das Lamm zum Löwen zu Spinnen und Fliegen.
Mehr Infos zum Film und über den Regisseur auf www.moana.de.