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■ Das nukleare Vorzeigeland Japan verspielt seinen KreditEin Leitstern verblaßt

Für die japanische Öffentlichkeit muß es ein Déjà- vu-Erlebnis gewesen sein: Erst der Doppelschlag im Atomkomplex Tokai, dann das verspätete Eingeständnis, daß dabei nicht nur Mitarbeiter verstrahlt wurden, sondern auch Radioaktivität in die Umgebung gelangte, schließlich die Entschuldigung von Ministerpräsident Hashimoto für das Fehlverhalten von Betreibern und Behörden.

Kaum mehr als ein Jahr ist vergangen, seit die Verantwortlichen des Prototyp-Brüters Monju das Ausmaß eines verheerenden Natriumbrandes durch freche Manipulationen an von ihnen selbst hergestelltem Videomaterial zu vertuschen suchten. Als die Sache damals aufflog, trat Hashimotos sozialistischer Vorgänger Tomiichi Murayama im Büßerhemd vor die Öffentlichkeit und beklagte den eingetretenen Vertrauensverlust. Die Betreiber gelobten Besserung. Im Pannenbrüter Monju dauern die Aufräumarbeiten an und in der Öffentlichkeit die Debatten über die Sinnhaftigkeit des weiteren Ausbaus der Atomenergie.

Und nun die Wiederholung. Natürlich ist nicht die Tatsache überraschend, daß mehr oder weniger folgenreiche Unfälle zwar unregelmäßig, aber doch immer wieder passieren. Auch in Atomanlagen arbeiten Menschen, und die sind eben fehlbar. Interessanter ist da schon die offenbar weltumspannende Neigung der Atomwerker, solche „Ereignisse“ reflexartig kleinzureden. Offenbar ist es so: Je weitreichender die antizipierten Konsequenzen für die öffentliche Wahrnehmung der Strahlentechnik insgesamt, um so unausweichlicher fühlen sich die Verantwortlichen in der Pflicht, erst mal jede Gefährdung abzustreiten. Nach der Monju-Erfahrung wollten die Tokai-Manager nicht schon wieder eine atomkritische Debatte im Lande. Jetzt haben sie sie.

Das mag auch den deutschen Verfechtern der Atomenergie eine Lehre sein. Wann immer sie in den vergangenen Jahren gegen „Kernenergie-Obstruktion“ und „ideologische Grabenkämpfe“ der heimischen Atomkraft-Opposition zu Felde zogen, galt ihnen Japan als leuchtendes Gegenbeispiel. Dort, jammerten sie, gebe es nicht diese „kollektive Unfähigkeit bei der Durchführung von Zukunftsprojekten“. Nicht unwahrscheinlich, daß sich die Freunde der Kernspaltung jetzt andere nukleare Leitsterne suchen müssen. Viele gibt es nicht mehr. Es ist nicht Ideologie, die die Leute gegen die Atomenergie aufbringt, sondern die Technik selbst. Gerd Rosenkranz

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