piwik no script img

„Das nützt anscheinend auch nichts“

■ Seit Anfang September kündigt die Polizei Standorte von Geschwindig- keitsüberprüfungen an / Die Wirkung ist gleich Null, gerast wird überall

Kollwitzstraße, Prenzlauer Berg: Gerhard Sund sitzt in seinem braunen Kombi und blickt auf ein schwarzes Etwas in seiner Hand, das aussieht wie eine überdimensionale digitale Stoppuhr. Auf der Straße fährt ein grauer Trabi vorbei. Die Stoppuhr zeigt „41“, die Kamera macht „Klick“, und ein weiterer Verkehrssünder wird seinen Weg in die Akten der Polizei finden.

Schräg gegenüber vom Standplatz des Geschwindigkeitsmessers liegt ein „abenteuerlicher Bauspielplatz“, rechts davon ein Jugendclub, beides mitten in einer Tempo-30-Zone. Doch ein erheblicher Teil der Autofahrer kümmert sich weder um etwaige Kinder noch um das Tempolimit. Die Kamera knipst im Minutentakt. Jedes dritte bis vierte Fahrzeug fährt zu schnell, rollt mit Geschwindigkeiten bis über 50 Stundenkilometer vorbei. „Das ist nichts Besonderes“, sagt der ehemalige Schutzpolizist Gerhard Sund, „das ist wie immer.“

Nicht ganz: Anders ist, daß die Kollwitzstraße in verschiedenen Zeitungen und im Rundfunk als „Blitzerstützpunkt“ angekündigt war. Seit Anfang September veröffentlicht die Polizei von ihren 30 bis 40 Einsatzbereichen am Tag jeweils einen, „gedrängt von der Presse“, wie der zuständige Polizeidirektor Klaus Krüger vom Dezernat Straßenverkehr zugibt. Eigentlich habe er der vorherigen Ankündigung skeptisch gegenübergestanden, sagt Krüger. Bei gleichartigen Versuchen in Baden- Württemberg habe man nicht die besten Erfahrungen gemacht. „Doch dann habe ich mich breitschlagen lassen.“

Bewerten möchte Krüger den Berliner Versuch aber noch nicht. Er will erst das offizielle Ende abwarten: „Bis jetzt haben wir nur Momentaufnahmen. Was bringen schon zwei, drei Stunden am Tag.“ Ende November soll entschieden werden, ob die Praxis der vorherigen Ankündigung beibehalten wird. „Unter Umständen, wenn wir positive Ergebnisse erzielen“, so Krüger, „kann es sogar sein, daß wir den Versuch ausdehnen.“ Ein positives Ergebnis wäre für Krüger eine „deutliche Minderung der Geschwindigkeitsüberschreitungen“, und zwar nicht nur in den angekündigten Straßen, sondern insgesamt.

Einen anderen Effekt der Blitzerwarnung sieht Krüger in der „Generalprävention“. „Wir kündigen oft unbekannte und kleinere Straßen an. Der Kraftfahrer soll wissen, daß wir im Prinzip überall kontrollieren, nicht nur auf Hauptverkehrsstraßen. Wer kennt denn schon den Müggelschlößchenweg? Wenn wir da sind, können wir überall sein.“ Klaus Krüger hofft, daß Geschwindigkeitskontrollen in das Bewußtsein der Autofahrer vordringen. Die bisherigen Versuche seien jedenfalls gescheitert: „Wir hatten mehrere Jahre an einigen Straßen Schilder mit der Aufschrift ,Achtung Radarkontrolle!‘ aufgehängt. Doch die Wirkung war gleich Null.“ Gleich Null ist aber auch die Wirkung der vorherigen Ankündigung in der Kollwitzstraße. Gerhard Sund sitzt auf dem Beifahrersitz und kontrolliert weiterhin die gemessenen Geschwindigkeiten, die Kamera klickt regelmäßig weiter. „Es ist egal, wo man steht“, erklärt Sund, „zu schnell wird überall gefahren: in Wohngebieten, vor Schulen, vor Kinderspielplätzen.“ Auf nicht verkehrsberuhigten Straßen seien 90 km/h keine Seltenheit. Wie zur Untermalung kommt der nächste Wagen mit 48 Stundenkilometern vorbei. Vier Kilometer werden davon später noch abgezogen, bleiben 14 Stundenkilometer, die der Fahrer zu schnell war: Der Bußgeldbescheid, den die Polizei nach Sunds Angaben etwa drei Wochen nach der Messung rausschickt, wird auf 50 Mark lauten. Sund glaubt, daß damit eine erzieherische Wirkung erzielt werden kann, aber für sinnvoller hält er richtige „Mausefallen“, wo dem Temposünder sofort sein Vergehen vorgehalten werden kann.

Sund hat schon von der Praxis seines Arbeitgebers gehört, einige Standorte für Geschwindigkeitsüberprüfungen im voraus bekanntzugeben. Daß „seine“ Straße und die Blitzer in den Zeitungen standen, wußte er aber nicht. Und er hätte es wohl auch nicht an der Fahrweise der Autos gemerkt, wenn es ihm nicht jemand gesagt hätte. Sunds Kommentar: „Das nützt anscheinend auch nichts.“ Martin Böttcher

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen