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■ Das neue russische Dekret zur PreiskontrolleTschernomyrdins unsicherer Einstand

Preisstopps für Produkte des Einzelhandels sind ökonomisch uneffektiv und bringen im besten Fall ihren Urhebern ein kurzfristiges soziales Image. Denn die Preisauszeichnung in den Läden bleibt dann zwar konstant, aber die Waren verschwinden, um auf dem Schwarzmarkt kräftig verteuert wieder aufzutauchen. Dieser Mechanismus ist der neuen russischen Regierung nicht unbekannt, und deshalb hat sie weislich darauf verzichtet, ihn in Gang zu setzen. Vielmehr hat sie bei den Produktionspreisen einer Reihe von Grundnahrungsmitteln (wozu landesüblich nicht nur Milchprodukte, sondern auch der Wodka zählen) die Profitmarge begrenzt. Dadurch wird den Produzenten bzw. den Großhändlern die Möglichkeit erschwert, für die gleiche Menge erzeugter Produkte einen immer höheren Preis zu fordern — die typische bequeme Situation von Anbietern unter quasi-monopolistischen Marktbedingungen.

Dennoch ist zweifelhaft, ob der gewünschte Effekt, Produktionssteigerung bei den „betroffenen“ Nahrungsmitteln, wirklich erreicht wird. Solange die Agrarreform, sprich: die Privatisierung der landwirtschaftlichen Produktionsbetriebe nicht zur Konkurrenz der Anbieter führt, bleiben administrative bzw. fiskalische Maßnahmen Flickwerk. Umgekehrt funktioniert das Manöver übrigens auch nicht. Die Erhöhung der erlaubten Profitmarge für Produkte der Öl- und Gasraffinerien von 10 auf 20 Prozent wird zwar das Benzin verteuern, aber die Produktion nicht steigern. Dafür sorgt schon der Zustand der Förderungs- und Raffinierungstechnik.

Hinter einer ökonomischen Maßnahme von zweifelhaftem Nutzen verbirgt sich allerdings die Auseinandersetzung über die Grundlinien der ökonomischen Reform. Das mehrheitlich „konservative“ russische Parlament hat Ende letzten Jahres ein Gesetz über die Preisbildung in Angriff genommen, das die Bildung eines Preiskomitees auf der Ebene der Föderation vorsieht. Tritt dieses Gesetz in Kraft, so wäre erneut, wie zu Zeiten der sowjetischen Preisbehörde Goskomtsen, die Gestaltung der Preise von den Kommunen bis zur Föderation dem Eingriff einer zentralisierten Instanz unterworfen. Die Eigenart des so schwierigen Transformationsprozesses in der Sowjetunion besteht nun mal darin, daß die wichtigsten Teilbereiche wie z.B. die Freigabe der Preise, die Privatisierung, die rechtlich-institutionellen Rahmenbedingungen und die Liberalisierung des Außenhandels in ihrer Wirksamkeit voneinander abhängen. Auf der einen Seite kühn voranzuschreiten und auf der anderen zu mauern führt zu nichts, auch nicht zu einer „Politik der kleinen Schritte“, wie sie den Reformern von der Industrielobby und der konservativen Parlamentsmehrheit so dringend ans Herz gelegt wurde. Christian Semler

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