: Das kollektive Klassenzimmer
Der Verein „Babylonia“ bietet für Migranten günstige Deutschkurse an. Wie lange noch, ist unklar – denn der Bund streicht die Förderung zusammen
von HEIKE KLEFFNER
Die Tür im ersten Stock des Hinterhauses in der Kreuzberger Cuvrystraße steht fast immer offen. Wer den Weg zu einem der ältesten Weiterbildungskollektive Berlins namens „Babylonia“ gefunden hat, will meist nicht nur Vokabeln und Grammatik pauken. „Viele suchen hier auch Hilfe bei sozialen und familiären Problemen“, sagt Musa Aktas, der hier die Sprachen Türkisch und Kurdisch unterrichtet.
Als der 30-Jährige vor vier Jahren hierher kam, konnte er lediglich die Frage „Woher kommst du?“ verstehen. Um sie zu beantworten, musste der Literaturwissenschaftler eine Landkarte zu Hilfe nehmen. „Als ich mit dem Finger auf Kurdistan zeigte, begann eine der Dozentinnen, Kurdisch mit mir zu sprechen“, erinnert sich Aktas. Längst hat er den Grund- und Fortgeschrittenkurs „Deutsch als Fremdsprache“ erfolgreich abgeschlossen. Bei Babylonia ist er trotzdem geblieben – als Lehrer. Und als Organisator des international bekanntesten Filmfestivals für kurdische Filmemacher.
„Babylonia ist ein Ort, wo der kulturelle Austausch, politische Diskussionen und das Ausprobieren von Kochrezepten zum Unterrichtskonzept dazugehören“, erklärt Karin Kerner, eine der 18 DozentInnen des Kollektivs, das die Sprachschule seit 1981 am Leben hält. Das Sorgenkind der Germanistin: die vom Bund finanzierten Kurse „Deutsch als Fremdsprache“ (DaF). Seit zehn Jahren bekommt Babylonia entsprechende Zuschüsse. So mussten Teilnehmer bislang nur etwa 50 Cent pro Stunde selbst zahlen. Arbeitsmigranten aus den EU-Staaten und ehemaligen „Gastarbeiter“-Anwerbeländern sollten einen erschwinglichen Zugang zu Deutschkursen erhalten.
„Für viele Migranten sind diese Kurse der einzige Ort, wo sie Kontakt zu Deutschen haben“, sagt Kerner. Auch deshalb gehört eine Sozial- und Rechtsberatung zum Angebot des Vereins. Das umfasst derzeit sechs DaF-Kurse mit 12 bis 16 Teilnehmern, zum Beispiel aus der Türkei, Portugal und Spanien. Die meisten Lernenden wollen im Herbst einen Fortgeschrittenenkurs besuchen. Doch was der kosten wird, weiß Kerner noch nicht.
Denn seit das Nürnberger Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) für die Deutsch- und Integrationskursförderung zuständig ist, ist nicht nur Kerner täglich damit beschäftigt, sich durch neue Auflagen und verwirrende Bescheide zu kämpfen. Scheibchenweise wurde die Förderung reduziert. Für das erste Quartal 2003 hatte das Bundesamt noch alle sechs von Babylonia beantragten Kurse bewilligt. Im zweiten Quartal waren es nur noch drei Kurse, dabei hatte Babylonia vier beantragt. Und für das dritte Quartal gab es erneut lediglich drei Kurse – mit einer halbierten Zahl der Unterrichtsstunden von 160 auf 80.
Eine komplette Absage bekam Babylonia für das letzte Quartal. Der Grund: Nur Kurse, die bis zum 1. April beantragt wurden, hätten bei der Bewilligung berücksichtigt werden können. Für die Träger sei das nicht durchschaubar gewesen, sagt Karin Kerner. Als sie die Förderung beantragt hatte, fielen die Zuschüsse noch nicht in die Zuständigkeit des Bundesamts.
Während sie von den täglichen Nachfragen berichtet, öffnet sich die Tür: „When is your next German class?“, fragt die Besucherin. Karin Kerner weiß nicht, was sie den Schülern, die weitermachen wollen, und neuen Interessenten antworten soll. Die Unsicherheit gelte auch für die Dozenten, die alle auf Honorarbasis arbeiten, ergänzt Musa Aktas. Sicher sei nur: „Wir werden protestieren.“