: „Das ist reine Propaganda“
Interview DANIEL BAX
taz: Herr Rosiny, Israel begründet seine Offensive im Libanon damit, dass es die Hisbollah entwaffnen wolle, von der sonst ein Angriff gedroht habe. Waren denn die Raketen der Hisbollah, die jetzt auf Nordisrael regnen, für einen Angriff bestimmt?
Stephan Rosiny: Der Ideologie der Hisbollah nach dienen diese Raketen allein der nationalen Verteidigung. Damit wollte sie Israel vor einer erneuten Intervention im Libanon abhalten.
Die Hisbollah spricht davon, sie wolle Israel zerstören.
Ja, aber Israel mit diesen Kurz- und Mittelstreckenraketen vernichten zu wollen, ist praktisch unmöglich. Wie man sieht, vermag die Hisbollah damit zwar Angst und Schrecken zu verbreiten, aber sie hat bislang noch kein militärisch relevantes Ziel getroffen. Außerdem verfügt sie über keinerlei Offensivwaffen wie Panzer oder eine Luftwaffe, die für einen Eroberungskrieg notwendig wären. Die Hisbollah übt sich zwar in der Solidarität mit den Palästinensern und spricht von der Befreiung ganz Palästinas, also der Zerstörung Israels. Aber das ist reine Propaganda. Die Realpolitik der Hisbollah sieht anders aus.
Ist auch der Antisemitismus der Hisbollah nur instrumentell?
Das große Problem dieses Konflikts zwischen Hisbollah, Hamas und Israel ist die gegenseitige Nichtanerkennung. Alle Seiten wollen im Grunde ihren Gegner vernichten. Dazu gehört es, ihn zu dämonisieren und zu entmenschlichen. So geschieht das im Hisbollah-TV-Sender al-Manar – aber auch bei israelischen Politikern, die von den Arabern wie von Tieren sprechen. Die Hisbollah betont immer wieder, dass sie die unrechtmäßige Besatzung Palästinas verurteilt. Ein ihr nahe stehender Geistlicher, Muhammed Hussein Fadlallah, hat es einmal so ausgedrückt: Selbst wenn die Israelis Muslime wären, würden wir gegen sie kämpfen: Weil sie den Palästinensern das Land genommen haben – und nicht, weil sie Juden sind.
Die Israelis nehmen es natürlich sehr ernst, wenn jemand von der Zerstörung ihres Landes spricht.
Ja, aber dieser Krieg war wirklich unnötig, zumal im Libanon gerade ein „nationaler Dialog“ stattfand, in dem die Entwaffnung der Hisbollah und ihre teilweise Integration in die Armee ganz oben auf der Tagesordnung standen. Allen Beteiligten – auch der Hisbollah – war dabei klar, dass sie nicht dauerhaft als Miliz bestehen bleiben würde. Möglicherweise wäre es in den nächsten Wochen oder Monaten hier zu einem Durchbruch gekommen. Doch diese Entwicklung wurde nun unterbrochen.
Wollte die Hisbollah mit der Entführung der beiden israelischen Soldaten diesen Krieg provozieren?
Das glaube ich nicht. Ich denke, sie wollte ein Zeichen der Solidarität mit den Palästinensern setzen und die israelische Offensive im Gaza-Streifen unterbinden. Aber da hat sie sich verkalkuliert. Ich denke nicht, dass sie damit gerechnet hat, dass Israel einen Zweifrontenkrieg beginnen würde. Vielleicht hat sie gehofft, ihren Erfolg aus dem Jahr 2000 zu wiederholen. Damals hatte sie drei israelische Soldaten entführt, die dabei zu Tode kamen und deren Leichen sie im Jahre 2004 mit Israel gegen libanesische Gefangene austauschte. Damals wurden die Soldaten allerdings auf dem Gebiet der Schebaa-Farmen entführt, einer Parzelle von mehreren Quadratkilometern, die nach libanesischer Auffassung zum Libanon gehört. Diesmal hat die Hisbollah israelisches Staatsgebiet überfallen – das war sicherlich ein Tabubruch.
Manche vermuten, der Iran habe die Hisbollah angestachelt, um von seinem Atomkonflikt abzulenken.
Ich vermute eher das Gegenteil, denn der Iran wäre damit ein gigantisches Risiko eingegangen: Er hätte den Israelis eine Steilvorlage geliefert, seine Atomanlagen im Iran zu bombardieren. Außerdem zeigt sich jetzt, dass der Iran zwar verbal die Aktionen der Hisbollah unterstützt, aber jegliche praktische Hilfeleistung unterlässt. Es sollen sogar Freiwillige, die aus dem Iran in den Libanon gehen wollten, an der Ausreise gehindert worden sein. Der Iran, Syrien und die Hisbollah sind drei unabhängige Akteure. Da, wo sich ihre Interessen decken, ziehen sie an einem Strang. Wo nicht, da nicht.
Was sind die Interessen der Hisbollah?
Die Hisbollah hat in den letzten Jahren vor allem drei Ziele verfolgt: Erstens die Befreiung der Schebaa-Farmen, die nach libanesischer Auffassung zum Libanon gehören. Deshalb hat sie dort immer wieder Militäroperationen durchgeführt. Zweitens die Befreiung der verbliebenen libanesischen Gefangenen aus Israels Gefängnissen, die sie durch Gefangennahme israelischer Soldaten freizupressen versucht hat. Drittens wollte sie verhindern, dass Israels Luftwaffe libanesisches Territorium überfliegt, wie dies in den letzten sechs Jahren über tausendmal geschehen ist. Dafür hat sie die israelischen Flugzeuge mit Flugabwehrraketen beschossen.
Der jordanische Schiiten-Hasser und Al-Qaida-Terrorist Al-Sarkawi rief kurz vor seiner Ermordung aus dem Irak zur Entwaffnung der Hisbollah auf. Er bezeichnete sie als „zionistische Hilfstruppe“, weil sie verhindere, dass Nordisrael von Al-Qaida-Leuten angegriffen werde. Klingt verrückt.
Solche Vorwürfe hat die Hisbollah durchaus öfter von radikalen Palästinensern zu hören bekommen, da sie bereits mehrmals eine militärische Eskalation durch andere Gruppen verhindert hat. Die Hisbollah kontrolliert den Südlibanon auch keineswegs alleine, wie es in den hiesigen Medien oft dargestellt wird.
Wo lagert die Hisbollah ihre Waffen? Israel behauptet, sie seien in Wohnhäusern versteckt – darum die vielen zivilen Opfer im Südlibanon.
Das erscheint mir nicht plausibel. Im libanesischen Bürgerkrieg haben palästinensische Milizionäre tatsächlich den Schutz der Zivilbevölkerung gesucht, und damit Israels Vergeltungsschläge provoziert. Das führte damals zur Entfremdung von den Schiiten. Weil die PLO auf diese Weise ihren Ruf zerstört hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Hisbollah heute diese Taktik anwendet. Ihre Kämpfer haben alle selbst ihre Familien im Südlibanon. Es ist wirklich naiv zu glauben, dass sie ihre Raketen in ihren Privathäusern deponieren würden. Bekannt ist, dass die Hisbollah über unterirdische Tunnel verfügt, die sie als Raketendepot verwendet. Das ging sogar durch die westlichen Medien.
Warum schaffen es die Israelis dann nicht, diese Gefahr auszuschalten?
Nach israelischen Angaben sind die Bunker so gut getarnt, dass sie aus der Luft nicht aufgespürt werden können; damit wird die Bodenoffensive begründet. Und mittlerweile hat die israelische Armee auch dermaßen viele Wohnhäuser zerstört, dass dies eigentlich gegen die Annahme spricht, dass die Waffen dort gelagert waren. Der Beschuss Israels hätte dann längst deutlich zurückgehen müssen, doch das ist nicht der Fall.
Woher stammt denn das Waffenarsenal der Hisbollah?
Zum größten Teil sicherlich aus Syrien und aus dem Iran. Zum Teil sind es aber auch Waffen, die man auf dem internationalen Markt kaufen kann.
Woran ist die Entwaffnung der Hisbollah bislang gescheitert?
Die UN-Resolution 1559 aus dem Jahr 2004 erhob zwei Forderungen: Den Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon und die Entwaffnung aller Milizen. Dieser Konnex war sehr problematisch, denn er hat die Debatte im Libanon stark polarisiert. Dort betrachtet man die Hisbollah als legitime Widerstandsbewegung gegen die nach wie vor bestehende israelische Besatzung libanesischen Territoriums. Ein weiteres Argument der Hisbollah ist, dass die libanesische Armee noch nicht über die Fähigkeiten verfüge, einen israelischen Angriff abzuwehren.
Damit kann sich die Hisbollah ja jetzt bestätigt fühlen.
Ja, absolut, denn die zahlreichen israelischen Invasionen haben sich tief ins Gedächtnis der Libanesen eingebrannt: 1978, 1982, 1993, 1996 und nun schon wieder. Im Südlibanon begann der Bürgerkrieg im Grunde bereits schon im Jahr 1970 mit den Kämpfen zwischen der PLO und Israel. Leidtragende waren schon damals die Schiiten.
Abgesehen von den Waffen: Sieht man die Hisbollah im Libanon nicht als Hindernis für die Demokratie?
Es gibt natürlich viele Gegner, die ihre religiöse Agenda kritisieren. Aber es gibt auch Säkulare und sogar Atheisten, die sie gewählt haben, weil sie von vielen als eine professionelle, stabilisierende und demokratisierende Kraft wahrgenommen wird. So ist die Hisbollah die einzige Partei, die seit 1992 konsequent ein Wahlprogramm vorgelegt hat, während alle anderen Parteien vor allem mit den Köpfen ihrer Kandidaten werben.
Trotzdem ist die Hisbollah eine religiöse Partei.
Ja, aber das Wahlprogramm der Hisbollah ist im Grunde ein nationalistisches Entwicklungsprojekt – die Wörter „Islam“ und „Muslim“ tauchen da nur am Rande auf. Die Hisbollah engagiert sich für die Bekämpfung der Korruption und für die Abschaffung des Konfessionalismus im Libanon, und weil sie ihre Viertel sehr effektiv verwaltet, hat sie bei fast jeder Wahl zulegen können.
Israel behauptet, es wolle die Hisbollah schwächen, um die libanesische Zentralregierung zu stärken.
Das ist wirklich absurd. Gerade Ministerpräsident Siniora galt bislang ja als Kritiker der Hisbollah. Wenn man es zynisch formulieren will, dann hat der Krieg die Einheit der Libanesen und die Solidarität mit der Hisbollah befördert.