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Archiv-Artikel

„Das ist existenzbedrohend“

Weil sie ihre Geschäfte nicht selbstständig regeln können, haben über 6.000 BremerInnen einen gesetzlichen Vertreter, den „Betreuer“. Das kostet das Land jährlich rund drei Millionen Euro. Eine Gesetzesreform soll diese Kosten bald senken

Von ede

taz ■ Sozial- und Behindertenverbände sind alarmiert. Auch Vormundschaftsrichter fürchten Schlimmes, wenn die Justizministerkonferenz sich im Herbst mit dem Entwurf für ein neues Betreuungsgesetz befasst. Dessen erklärtes Ziel nämlich ist, die Kosten für Betreuung zu senken.

Schon sprechen ExpertenInnen von einer Aufgabe, die der „Quadratur des Kreises“ gleich komme, denn Betreuung soll billiger, aber nicht schlechter werden. Selbst im hiesigen Justizressort ist man skeptisch, ob die Vorteile des neuen Gesetzes die Nachteile überwiegen. Doch hat Bremen den bisherigen Planungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zugestimmt. Denn bundesweit ächzen die Justizminister unter ständig steigenden Betreuungskosten – Geld, das dafür ausgegeben wird, geschäftsunfähigen Kranken, Verwirrten oder Behinderten eine Beratung an die Seite zu stellen.

Im Land Bremen haben sich die Kosten dafür in den letzten sieben Jahren verdreifacht. Von rund einer Million Euro 1996 sind sie auf über drei Millionen im Jahr 2002 geklettert – für knapp 7.000 BremerInnen, die ihre Geschäfte nicht mehr selbst führen können. Ihnen gingen rund 1.500 haupt- oder ehrenamtliche BetreuerInnen zur Hand: Bei der Arztwahl, bei Rentenanträgen, bei der Befreiung von den Rundfunkgebühren oder bei der Heimeinweisung. Immer nach der Gesetzesvorgabe, die Wünsche der Betreuten so weit wie möglich zu berücksichtigen. Und immer auf richterliche Anordnung.

Die BetreuerInnen kommen aus allen Berufsgruppen, rund die Hälfte von ihnen, etwa 700, arbeitet ehrenamtlich – für eine Aufwandsentschädigung von rund 300 Euro im Jahr. Geld, das für Fahrtkosten, Kopien, Telefonate und Porto schnell verbraucht ist. Die rund 800 hauptamtlichen Betreuer dagegen kosten 31 Euro die Stunde, die das Land zahlt, wenn Betreute selbst nicht genug Geld haben. Doch haupt- wie ehrenamtliche BetreuerInnen sollen künftig knapper gehalten werden.

Beim Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes in Bremen „sind die Wogen deswegen schon hoch gegangen“, sagt Dagmar Theilkuhl. Sie ist Leiterin des Referats Betreuungsrecht und damit auch zuständig für einen von vier Bremer Betreuungsvereinen. Diese beschäftigen hauptamtliche Betreuer – aber sie suchen und beraten auch ehrenamtliche. Noch. Denn wenn Pläne wahr würden, wonach Ehrenamtliche nur noch rund 150 Euro im Jahr bekommen sollen, würden sich solche Freiwilligen wohl kaum noch finden. Dabei sollen sie künftig die Hauptlast tragen.

Geht es nach den Reformern, würden Verwandte, Freunde und Freiwillige künftig stärker – und preisgünstiger – füreinander eintreten. Noch bevor Menschen alt und hinfällig werden, könnten sie regeln, wer im Falle eines Falles die Verantwortung für sie trägt. Betreuungsvereine hätten dabei eine Schlüsselrolle: Sie würden aufklären und bis hin zur vertraglichen Vereinbarung beraten. Theoretisch.

PraktikerInnen wie Theilkuhl vom DRK nämlich sagen: „Wir sollen mehr solcher Querschnittsaufgaben übernehmen, ohne dass dafür mehr Mittel bereit gestellt werden.“ Beratung sei jedoch extrem zeitaufwändig. Theilkuhls Bilanz: „Solche Pläne sind für Betreuungsvereine existenzgefährdend.“

Erschwerend kommt hinzu, dass hauptamtliche Betreuer künftig nur noch eine Jahrespauschale bekommen sollen, die sich nach der Schwere des Falles richtet und wohl immer niedriger ausfallen wird als das bisherige Stundenhonorar, das viele schon als „nicht kostendeckend“ kritisieren. Denn Steuern, Abgaben und Sachkosten gehen davon noch ab. Zwar soll die neue Pauschale den Verwaltungsaufwand reduzieren. „Aber Betreuten bleibt am Ende wohl weniger Zeit, um ihre Interessen zu Gehör zu bringen“, sagen Experten. Das Rad, fürchten sie, werde so wieder zurück gedreht. ede