VORMERKEN : Das ist doch aber auch mal eine absurde Veranstaltung
Ach ja, das Leben. In seiner literatisierten Form hört sich’s so an: „Da ging einmal ein Mensch ins Büro und traf unterwegs einen anderen Menschen, der soeben ein französisches Weißbrot gekauft hatte und sich auf dem Heimweg befand. Das ist eigentlich alles.“ Zu unspektakulär, was der russische Dichter Daniil Charms hier als „Begegnung“ festgehalten hat? Bitte, mehr: „Es war einmal ein Rotschopf, der hatte weder Augen noch Ohren. Er hatte auch keine Haare, so dass man ihn an sich grundlos einen Rotschopf nannte. Sprechen konnte er nicht, denn er hatte keinen Mund. Eine Nase hatte er auch nicht. Er hatte sogar weder Arme noch Beine. Er hatte keinen Bauch, er hatte keinen Rücken, er hatte kein Rückgrat, er hatte auch keinerlei Eingeweide. Nichts hatte er! So dass unklar ist, um wen es hier eigentlich geht. Reden wir lieber nicht weiter darüber.“ Absurd. Eben genauso grotesk wie das Leben. Zum Beispiel in Form des stalinistischen Terrors. In einem Leningrader Gefängnis ist Daniil Charms 1942 verhungert. Am Sonntag leiht Jens Paul Wollenberg dem Dichter der Meisterklasse, in der sonst nur noch Buster Keaton, Samuel Beckett und vielleicht Karl Valentin sitzen, im Ausland seine Stimme, musikalisch begleitet von Valerie Funkner am Knopfakkordeon. TM
Daniil-Charms-Lesung bei der Literaturbühne im Ausland, Lychener Straße 60, Sonntag, 17. Juni, 21 Uhr