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Das harte Brot des Exils im „Safir Zamalek“

■ Luxushotels in Kairo als Flüchtlingslager für die Kuwaitis / Nachmittägliche Träume vom Widerstandskampf gegen Saddam / Beruhigungstherapien gegen die Untätigkeit / „Hier in Kairo sind wir der Heimat näher als in Europa“

Aus Kairo Petra Groll

Erfrischend streicht der Abendwind über die Insel, Fetzen eines islamischen Requiems klingen vom gegenüberliegenden Ufer des Nils mit. Zamalek ist ein Insel der Ruhe mitten im infernalischen Verkehrsgebrüll und hoffnungslosen Gedränge der ägyptischen Hauptstadt. Hier residiert die Mehrzahl der ausländischen Vertretungen, hier reiten und golfen Diplomaten, Geschäftsleute aller Herren Länder und die Vornehmen Kairos. Hier unterhält seit Anfang August die kuwaitische Exilregierung ein Flüchtlingslager.

Im ersten Augenblick erinnert das dreißig Stockwerke gen Himmel scrappende „Safir-Zamalek-Hotel“ an aus West-Beirut so sattsam bekannte Gebäude, die dort ebenfalls von Kriegsflüchtlingen bewohnt werden. Selbst von den zur Hauptstraße weisenden Balkonen flattert die Wäsche, was, zumal im vornehmen Zamalek, gegen jegliche Etikette verstößt und wirklich nur im Notfall toleriert wird.

Die 630 Betten des Apartmenthotels sind hundertprozentig belegt. Auch das Hotel „Safir-Cairo“ im benachbarten Stadtteil Dokki mit 420 Betten wurde komplett von der hiesigen Botschaft Kuwaits gebucht. 26.000 bis 40.000 Kuwaitis, die ägyptischen Schätzungen gehen etwas auseinander, sind in den vergangenen Wochen am Nil gestrandet.

Sicherlich gewährt die Eigentümerin des Safir-Hotels, die kuwaitische „International-Investment-Cooperation“ der kuwaitischen Exilregierung einen hübschen Rabatt. Normalerweise kosten die De-Luxe-Suiten im „Safir-Zamalek“ zwischen 250 und 500 US-Dollar pro Nacht, zuzüglich 20 Prozent Steuern. Eine preiswerte Alternative für Kuwaitis, beeilt sich ein Hotelmanager vorzurechnen, denn für die entsprechenden Einzel- und Doppelzimmer würde eine durchschnittliche 15- bis 25köpfige Familie ungleich mehr zahlen müssen. Während die kuwaitischen Flüchtlinge in den Hotels auch frei verköstigt werden, erhalten sie hier zehn ägyptische Pfund (circa 7,50 DM) pro Tag und Kopf und kochen in ihren Appartements bzw. lassen kochen, denn zur jeder Familie gehört natürlich mindestens eine Hausangestellte, überwiegend asiatischer Herkunft.

„Wenn ich nur könnte, dann würde ich morgen meinen Paß nehmen und nach Haus gehen“, sagt die 20jährige Ezeel Al -Otaibi, die mit ihrer Familie den alljährlichen Sommerurlaub in London verbrachte, als Saddam Hussein seine Truppen marschieren ließ. Die junge Frau ereifert sich zunehmend für die heimatliche Wüste. „Vor allem die Männer werden jetzt versuchen, über alle nur möglichen Wege nach Kuwait zurückzukehren, werden den 'Nationalen Widerstand‘ stärken und das Land befreien, hoffentlich bald.“

Der deutlich beleidigte Unterton der scheinbar emanzipierten jungen Frau ist nicht zu überhören. „Ja“, sagt sie, „auch Frauen sollten die Waffen aufnehmen.“ Ähnliche Syndrome von Exilantenromantik zeigen sich auch bei ihren Freundinnen. Die 19jährige Redab Al-Khalf und deren 26köpfige Familie (die Nebenfrauen werden freundlich „Tanten“ genannt), machten in der Nähe von Koblenz Urlaub, als die Schreckensnachricht eintraf. Sie findet Saddam Hussein „bauernschlau“, ausgerechnet in den Sommermonaten seinen Überfall zu starten. Tatsächlich muß das halbe Land wohl leergestanden haben. „Doch soll der dreckige Iraker sich nicht zu früh freuen“, blickt Redab grimmig drein. „Hier in Kairo sind wir der Heimat wenigstens näher als in Europa“, meint sie, „hier sprechen die Menschen Arabisch und beten islamisch, hier haben sich die Familien wieder zusammenfinden können.“

Außerdem treffen aufmunternde Nachrichten vom Widerstand in Kairo ein: „Die irakischen Soldaten verkaufen unseren Leuten Waffen, lassen sich die traditonellen Disch-Daschas der Kuwaitis geben und machen sich in dieser Verkleidung aus dem Staub, dersertieren, versuchen, nach Saudi-Arabien zu kommen. Sie sind wütend auf Saddam, der seine eigenen Soldaten belogen, ihnen weisgemacht hat, sie würden zum Angriff gegen Israel ausrücken. Irgendwann haben sie dann festgestellt, daß sie gegen ein arabisches Bruderland geschickt wurden.“

Trotz organisierter Freizeitangebote der ägyptischen „Brüder“ finden die kuwaitischen Gäste das Leben im Hotel quälend langweilig. „Lieber auf unserem Boden sterben als hier“, beschließt Ezel.Die kuwaitische Regierung indes scheint mit einem längeren Aufenthalt ihrer BürgerInnen in Ägypten zu rechnen und hat kurzerhand mehr als 1.000 Wohneinheiten vom ägyptischen Staat gekauft, schwer vorstellbar, wie die kuwaitischen Großfamilien sich in den weitabgelegenen Trabantensiedlungen der Kairoer Vororte einrichten werden. Ein ernüchternder Wohnungsüberschuß herrscht hier nicht nur wegen der für Ägypter nicht aufzubringenden Mieten. Die Ostberliner Vorstadt Marzahn wirkt anheimelnd gegenüber diesen Betonburgen bar jeglicher Infrastruktur. Vielleicht kommt den Kuwaitis aber gerade der Ausblick auf die Weiten der Sahara geschmacklich entgegen.

Auf eine längere, wenn auch nicht endlose Zeit im Exil hat sich Abdallah Kundary, ein kuwaitischer Ingenieur eingestellt, der die Sommermonate hier in Kairo verbrachte. Al-Kundary scheint aber weniger auf den kuwaitischen Widerstand zu setzen, sondern erwartet entschieden ein militärisches Eingreifen der USA und Westeuropas. „Und auch die Ägypter sollten mehr Truppen schicken...“, was zweifellos für die stets lauschenden Ohren des Hotelmanagers bestimmt ist. Richtig. Weshalb sollte ausgerechnet dieser Herr kein Taschengeld aus der Staatskasse beziehen oder gar fest beim ägyptischen Geheimdienst angestellt sein, dessen Männer mehr oder minder geschickt getarnt in allen halbwegs öffentlich zugänglichen Bereichen des Hotels herumlungern? Von den Szenarien einer Kriegsgefahr für die ganze Region, Vernichtung der Petroreichtümer, eventuellem A- und C-Waffen -Einsatz, kurz, wahnwitziger Vernichtung, will Al-Kundary nichts wissen. „Uns kann es schlimmer schon gar nicht mehr gehen“, lautet die gleichmütige Antwort. Der lauschende Ägypter zuckt nicht einmal mit der Wimper.

Ein Kulissenwechsel macht auch diese etwas schaurige Begegnung zur Eopisode. Auf der Terrasse haben sich nun endlich die Bewohner des Hotels versammelt. „Kommen Sie allerfrühestens am späten Nachmittag“, hatte mir eine Sekretärin geflüstert, „bis dahin schläft hier noch alles.“ Und tatsächlich waren bei der Ankunft nur Rasselbanden von Kindern im vollklimatisierten Innern des Hotels anzutreffen gewesen, Fahrstuhl abwärts, aufwärts, abwärts fahrend.

Nun blitzen rechterhand die weißen Disch-Daschas wie aufgereiht aus den Gartenstühlen. Teetrinkende Männer haben sich um einen Fernseher versammelt, links genießt der Harem die Abenddämmerung, die Kinderscharen ebenso im Auge wie das Geschehen am Haupteingang des Hotels.

Der Streß des Wartens scheint ihnen weniger anzuhaben als den Männern, die nach Angaben eines ägyptischen Arztes mit hohen Dosen von Beruhigungsmitteln versorgt werden. Selbst für die Matronen, so erzählt die Studentin Redab, hat die Botschaft nicht nur Dampferfahrten auf dem Nil organisiert. In Schnellkursen werden ihnen Erste-Hilfe-Maßnahmen gezeigt, sogar Spritzen sollten sie geben, trainiert wird an Diabetikerinnen...

„Tax, tax“, zischelt es plötzlich von allen Seiten, vertreibt das Grübeln... zurück auf der Straße lauern Dutzende ägyptischer Taxifahrer auf Kundschaft, warten Pferdedroschken mit ihren romantischen Laternen. Straßenhändler mit mobilen Popcorn-Öfen und einer kleinen Nußrösterei haben es vor allem auf die Kinder abgesehen. Zuckerwatte in leuchtendem Rosa. Rund um die protzige Auffahrt des „Safir Zamalek“ herrscht Jahrmarktstreiben. Die Kuwaitis sind aufgewacht.

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