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Das grüne Leuchten

■ Die Vorschau: Das vertonte Schattenspiel „Wohin Fliegender Holländer“ dürfte die aufwändigste Produktion beim diesjährigen „La Strada“-Festival sein. Musikalisch verantwortlich ist ein Mann mit wilder Biographie: Peter Friemer

Auch die schnöde physikalische Welt birgt ihre Wunder. Wird ein Gegenstand mit einem roten und einem weißen Scheinwerferlicht angestrahlt, dann ist der Kernschatten zappenduster. Und die beiden Teilschatten, auf die jeweils nur eines der Scheinwerferlichter fällt, sind nicht etwa zartrot oder zartweiß, sondern etwas ganz anderes: grün. Das behauptet zumindest Stefan Berthold, und der muss es wissen, schließlich hat er schon des öfteren mit Schatten sein theatrales Spiel getrieben. Der Mann vom Quartier e.V. bastelt seit einem ganzen halben Jahr zusammen mit 35 anderen Bremer Musikern/Schauspielern/Laien an einem einstündigen Stück, das sich ausgerechnet mit jener Legendengestalt auseinander setzt, welcher der Zugang zum Schattenreich verwehrt ist: dem Fliegenden Holländer. Erst wenn es diesem gelingt, die bedingungslose Liebe einer Frau für sich zu gewinnen, wird er vom Fluch der Unsterblichkeit befreit.

Lieben nur um sterben zu können: ein typisch spätromantisches Thema. Beschäftigte sich Richard Wagner mit Holländers Landgang und seinem von Missverständnissen durchkreuzten Verhältnis zu Senta, so richtet sich das Interesse von Berthold & Co auf die einsame Zeit auf hoher See und die Lust und Last von grenzenloser Ungebundenheit. Weil dieser Bremer Holländer auf handgreifliche äußere Handlung weitgehend verzichtet und sich auf feinstoffliche innere Vorgänge konzentriert, wählte man die Technik des Schattenspiels. Denn wo Weiß und Rot ein grünes Leuchten gebiert, kann die spezielle Logik des menschlichen Empfindens nicht ganz fern sein.

An der Produktion beteiligt ist ein Mann, der nicht nur selber etliche Erfahrungen gesammelt hat mit aufregenden Fusionsphänomenen à la grünes Leuchten, sondern eine vogelwilde Künstlerbiografie vorweist. Er heißt Peter Friemer, ist 35 Jahre alt und wollte eigentlich ganz simpler Musiklehrer für Sekundarstufe II werden. Zum Klavier kam er erst mit 15 Jahren, zu einem Klavierlehrer sogar erst mit 19. Es war seine Freundin, die ihm damals fünf Klavierstunden bei einem echten Hochschuldozenten schenkte. Schon mit 17 komponierte er seine erste Sonate „ohne behelligt zu sein, auch nur von der geringsten Ahnung über klassischen Sonatenaufbau.“ Während des Studiums jobbte er am Bremer Theater als Chorrepetitor. Als er aushilfsweise nur für die Proben ein paar Chorsätze hinfriemeln musste, war der legendäre Oberspielleiter Andràs Fricsay gleich derart begeistert, dass er Friemer beauftragte, für „Arturo Ui“ und „Was Ihr wollt“ die Theatermusik zu komponieren. Regisseure kamen nach Bremen und gingen wieder und erinnerten sich in der Fremde an den schnellen, zuverlässigen, jungen Selfmade-Komponisten.

Und so kommt es, dass Friemer heute in der ganzen Republik gute credits hat, in Braunschweig, Bremerhaven, Wilhelmshaven ... Für das Stadttheater Darmstadt komponierte er die Musik zu Kästners „Pünktchen und Anton“ – „ganz in nostalgischem 20er Jahre-Stil, und einige Leute waren nicht schlecht erstaunt als dann ein Komponist vor ihnen stand, der noch keine 30 Jahre alt war“. In Münster arrangierte er Paul Dessaus Musik zur „Mutter Courage“ neu. Kinderweihnachtsmärchen, Musical, zeitgenössisches Theater, Klassiker wie Torquato Tasso, high und low, alt und neu: nichts, für was er noch nicht das Notenpapier gezückt hätte.

Rühmenswert ist aber etwas anderes: Obwohl Friemer gut dabei ist in der etablierten Kunstszene, engagiert er sich nach wie vor „mit ganzem Herzen“ und großem Zeiteinsatz für das, was man einmal Soziokultur nannte. Er komponierte eine Sinfonie für den Stadtteil Horn-Lehe, an deren Uraufführung auch siebenjährige Kids beteiligt waren, die ihrem Saxophon gerade mal drei näselnde Töne entlocken konnten. „Das gemeinsame Erarbeiten einer Sache zusammen mit Laien finde ich oft fast spannender als das Ausführen eines Auftrags für eine Profiproduktion.“ Oder er arbeitet mit einem tamilischen Chor aus Tenever, „obwohl ich kein Wort Tamilisch spreche“. Die Aneignung neuer Töne und fremder Kulturen ist eine Art Steckenpferd. Dabei analysiert er zunächst trocken die Partitur, bemüht sich dann um Einfühlung, um am Ende doch sein persönliches Ding daraus zu machen. „Zum Beispiel Tango. Ich liebe Astor Piazzola. Meine eigenen Tangos aber waren so anders und eigen, dass die Bremer Tangotänzer zunächst so ihre Schwierigkeiten damit hatten.“ Wie die Jazzmusiker liebt Friemer wechselnde Kollaborationen, und die Zusammenarbeit mit einer klassischen Cellistin, die sich weigert, auch nur einen Ton zu improvisieren, und einem brasilianischen Percussionisten, der wiederum keine Ahnung vom Notenlesen hat, entspricht genau seiner Idee von der Produktivität der Gegensätze.

Was die Berufskarriere anbelangt, ist Friemer ein Gegner allen Planens. „Immer wenn ich mich irgendwo aktiv beworben habe, ist nichts daraus geworden. Alle meine Engagements sind irgendwie passiert.“ Zum Beispiel die Arbeit fürs tschechische Fernsehen: Da war einmal ein Tscheche am Bremer Theater, der ging zurück nach Prag ... Jedenfalls hat Friemer mittlerweile die Musik zu neun Filmen komponiert, „für ein Gehalt, von dem man sich in Tschechien vielleicht ein kleines Häuschen leisten könnte, das aber für deutsche Verhältnisse ein Witz ist, aber das spielt für mich keine Rolle.“

Die musikalischen Vorlieben Friemers sind unzeitgeistig. Statt Stockhausen und Boulez hört er lieber Grieg, Rachmaninow und Wagner. Zwar hat er keine Hemmungen, selber mal mit Rap-Einlagen zu arbeiten, beim Thema Pop-Heroen fällt ihm aber nicht viel mehr ein als Frank Zappa und Oasis. Und der so genannte Independent-Pop ist ihm zu düster. Klar dass er bei der aktuellen Holländer-Produktion wieder mal schwer am Mixen ist und eine Hardrockband zusammenbringt mit klassischen Instrumentalisten. bk

10.-13. August um 23 Uhr in einer eigens konstruierten Rotunde von 20 Meter Durchmesser in den Wallanlagen direkt am Herdentor. Eintritt 15/18 Mark

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