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■ Das gestrige Treffen einer iranischen Delegation mit Diplomaten der EU in Paris war mit Spannung erwartet worden. Man hoffte auf einen Brief aus Teheran, der den Mordaufruf gegen...Keine fatwafreie Zone für Salman Rushdie

Das gestrige Treffen einer iranischen Delegation mit Diplomaten der EU in Paris war mit Spannung erwartet worden. Man hoffte auf einen Brief aus Teheran, der den Mordaufruf gegen Rushdie zumindest in Europa außer Kraft gesetzt hätte. Warum kam der Brief nicht? Haben die Realpolitiker um Rafsandschani noch Chancen?

Keine fatwafreie Zone für Salman Rushdie

Die Fatwa gegen Salman Rushdie bleibt in Kraft. Das erklärte gestern der iranische Vizeaußenminister Vaesi drei Spitzenbeamten aus den Außenministerien in Deutschland, Frankreich und Spanien bei einem Treffen in Paris. Die von der Europäischen Union verlangte schriftliche Distanzierung von dem „Todesurteil“ gegen den britischen Schriftsteller gilt – sechs Jahre nachdem Ajatollah Chomeini sie aussprach – weiter.

Wieder einmal führte der Iran Europa an der Nase herum. Die drei Spitzenbeamten, darunter der Leiter der Nahostabteilung im Bonner Auswärtigen Amt, Dingens, hatten fest damit gerechnet, daß Vaesi mit einer von Staatspräsident Rafsandschani persönlich unterzeichneten Erklärung ankommen würde, in der er sich von der Fatwa distanziert. Zumindest für das Gebiet der EU sollte das Regime zusichern, daß es den Schriftsteller nicht ermorden werde. Alle sechs Monate hält die EU-Troika ein Treffen mit iranischen Vertretern ab. Arbeitstitel: „kritischer Dialog“. Nach dem vorausgegangenen Treffen in Bonn im vergangenen Dezember hatten die Iraner der EU signalisiert, daß sie mit „neuen Informationen“ nach Paris kommen würden.

Die europäische Hoffnung auf ein Ende der Fatwa wurde durch Äußerungen aus der Spitze des Teheraner Regimes genährt. Im vergangenen Monat soll derselbe Vaesi, der gestern stur blieb, gegenüber den Botschaftern der EU- Troika in Teheran das Ende der Fatwa angekündigt haben.

Laridschani, ein weiterer hoher Vertreter des Außenministeriums, lieferte in einem Interview mit einem schwedischen Journalisten das ideologische Fundament für den vermeintlich bevorstehenden Kurswechsel. Er sprach von einem zuvor nie erwähnten Brief des verstorbenen Chomeini, in dem jener festgelegt habe, daß sein „Todesurteil“ gegen Rushdie „je nach den Interessen des Systems und des Landes“ aufgehoben werden könne. Und selbst der iranische Staatspräsident soll Öffnungsbereitschaft signalisiert haben.

Nach Informationen iranischer Oppositioneller in Paris hat er am Vorabend des G-7-Gipfels von Halifax einen Brief an den japanischen Ministerpräsidenten geschickt, in dem er zusichert, daß der Iran keine Atombombe baut, keine Gebietsansprüche hegt, nicht in den Nahost-Friedensprozeß eingreifen will und sein Justizsystem reformieren will.

Die iranische Botschaft in Paris war gestern fast verwaist. „Unsere Diplomaten“, so hieß es, „begleiten den Vizeaußenminister bei seinem Gespräch.“ Ein zurückgebliebener Pressesprecher, der sich nicht namentlich bekanntmachen wollte, erklärte, er wisse weder von dem Interview Laridschanis noch von dem Schreiben seines Staatspräsidenten. Selbst von Vaesis Gesprächsabsichten wußte der Mann erst, nachdem Teheran ihm gegen Mittag grünes Licht gab. „Ich glaube nicht an eine Aufhebung der Fatwa“, sagte er dann.

Ähnlich zurückhaltend reagierte die offizielle iranische Nachrichtenagentur IRNA, die zwar gestern morgen ein Interview mit Vaesi gemacht hatte, dessen Inhalt jedoch erst nach Mittag – nachdem Teheran gegengelesen hatte – bekanntgab. Darin hatte Vaesi bereits erklärt, daß der Iran das „Todesurteil“ beibehalten werde.

Iranische Oppositionelle in Paris hatten dergleichen befürchtet. Bani Sadr, erster Regierungschef von Ajatollah Chomeini nach der Islamischen Revolution und inzwischen politischer Flüchtling in Paris, hält das angebliche Chomeini- Vermächtnis über die Fatwa für eine Fälschung. Oft schon, so bemerkte er gestern im Gespräch mit der taz, habe sich gezeigt, daß sich das Regime in Teheran nicht um die Weltöffentlichkeit schere. Und selbst wenn es in der Regierung die Bereitschaft zu einer Wende gebe, so zeige die iranische Presse, daß die Scharfmacher weiterhin das Sagen hätten.

Den einstigen Minister des Schahs, Manoucher Gandschi, der heute ebenfalls als Oppositioneller in Paris lebt, erinnert die „Verhandlungsbereitschaft“ von Teilen des iranischen Regimes an die alte islamische Regel „taghieyeh“, die besagt: „Du darfst lügen, wenn es deinem Zweck dient.“ Versprechungen, erst recht wenn sie das Leben von Feinden betreffen, würde er kein Wort glauben. „Die würden allenfalls sagen: Wir schicken keine Mordkommandos nach Europa, und wenn Rushdie dann ermordet ist, würden sie den israelischen Geheimdienst oder die Volksmudschaheddin verantwortlich machen.“

Auch für die rund um die Uhr unter Polizeischutz stehenden iranischen Oppositionellen in Paris würde eine Aufhebung der Fatwa – sollte sie eines Tages erfolgen – keine wesentliche Veränderung bringen. „Sicherer, ich?“ fragt Bani Sadr und lacht trocken. „Gegen uns gibt es ja nicht einmal eine Fatwa, die aufgehoben werden könnte. Solange Europa nicht aufhört, das Regime zu stützen, gibt es für uns keinen Schutz.“ Dorothea Hahn/Paris

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