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Das dicke Ende war blau

■ Die "Neue Zeit" erscheint nicht mehr / Für die Belegschaft kam das von der "FAZ" verordnete Aus völlig überraschend

Am Tag nachdem sie die überraschende Mitteilung der sofortigen Schließung ihrer Zeitung ereilte, konnten es die Mitarbeiter der Neuen Zeit (NZ) immer noch nicht fassen: „Es ist so, als wäre jemand gestorben. Es dauert, bis man kapiert, was das bedeutet.“ Karin Fischer, die Frau fürs Bunte im Lokalteil der NZ, spricht ihren Kollegen aus der Seele. Die Reporter Werner van Bebbern und Andreas Kaiser sitzen bei heruntergelassener Jalousie im Halbdunkel ihres Arbeitszimmers und rauchen eine Zigarette nach der anderen. Am Montag nachmittag hatte Chefredakteurin Monika Zimmermann der 190köpfigen Belegschaft mit rotgeweinten Augen das Aus der Zeitung verkündet: aus wirtschaftlichen Gründen, denn das Blatt produzierte im Jahr über 25 Millionen Mark Miese. Die Geschäftsführer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), der die Neue Zeit als Hauptgesellschafter des Deutschen Zeitungsverlags gehört, hatten sich auf der außerordentlichen Betriebsversammlung nicht blicken lassen. Die Neue Zeit, gedruckt auf zartblauem Papier, war mit einer Auflage von 33.000 Exemplaren die zweitkleinste der überregionalen Tageszeitungen aus Berlin. Das einstige Zentralorgan der Ost-CDU war im September 1990 samt kompletter Belegschaft von der FAZ übernommen worden. Manche der alten Redakteure gingen danach freiwillig, aber viele blieben, und neue Journalisten aus dem Westen kamen hinzu. Redakteurin Karin Fischer, seit 1985 dabei, berichtet, daß sie die Wessis anfangs alle für „coole Einzelkämpfer" hielt. Umgekehrt hätten die Wessis die Ossis immer als „so familiär“ kritisiert. Zum Schluß sei das Verhältnis jedoch sehr gut gewesen. Der Chef der Lokalredaktion, Winfried Konrad, kam als einer der Wessis im April 1991 von einer Würzburger Regionalzeitung zur Neuen Zeit nach Berlin. Auf die zwölf Mitarbeiter seiner Redaktion, zwei Drittel davon sind Westler, hält er große Stücke. „Alles gute Leute, die gute Geschichten produziert haben.“ Nicht umsonst habe die kleine Zeitung einen so guten Ruf gehabt. Bei einem drei Seiten umfassenden Lokalteil „konnten wir uns nicht erlauben, uns wie die Morgenpost im täglichen Kleinkram zu verlieren, sondern haben versucht, die Vogelperspektive zu entwickeln“. Der Nachteil der geringen Auflage sei natürlich gewesen, daß gute Geschichten von der Öffentlichkeit erst wahrgenommen wurden, nachdem sie von den großen Zeitungen aufgegriffen worden waren. Denn für andere Medien sei die Neue Zeit immer ein „Schatzkästlein“ gewesen, aus dem sie sich hemmungslos ohne Namensnennung bedient haben. Was die Neue Zeit auch gegenüber anderen überregionalen Tageszeitungen auszeichnete: Jedes neue Bundesland hatte eine eigene Nachrichtenseite, für die zwölf Korrespondenten arbeiteten.

Der Betriebsratsvorsitzende der Neuen Zeit, Ralf Schuler, ist von der „alten Mutter FAZ“ bitter enttäuscht. „Ich habe gedacht, die ist anders als Springer und nicht nur am Gewinn interessiert.“ Nachdem die FAZ schon so eine enorme Summe in das Zeitungsprojekt investiert habe, so Schuler, „habe ich gedacht, die schleppen uns durch“. Jetzt bleibt dem Betriebsratsvorsitzenden nur eins zu tun: bei den Abfindungsverhandlungen für die Mitarbeiter „rauszuholen, was rauszuholen geht“. Plutonia Plarre

Siehe auch Seiten 5 und 10

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