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■ Das deutsche Berufsbeamtentum muß reformiert werdenWilhelminisches Relikt

Die Sozis zucken noch zurück, die Bündnisgrünen sind schon einen Schritt weiter. Bei der Reform des Öffentlichen Dienstrechts wird die Republik an einer Änderung der Verfassung nicht vorbeikommen. Dabei geht es viel weniger um das Dauerthema, wer und wie die Beamten im Alter alimentieren soll. In den Mittelpunkt der Debatte sollten vielmehr die gesellschaftlichen Folgen der grotesken Privilegienansammlung treten, die als „hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums“ wie ein heiliger Schrein im Grundgesetz verankert ist. Wer zum Beispiel hinterfragt, warum das Studium der Rechtswissenschaften zu einem Quasi-Monopol der Besetzung des öffentlichen Dienstes führt? Wer hingegen Wirtschaftswissenschaften oder Politologie studiert, hat so gut wie keine Chancen auf einen Job in der Administration.

Das Juristenmonopol ist nur ein Stein einer Mauer von Behinderungen, die „die Grundsätze“ für ein neues Verhältnis von Beamten und Bürgern, von Staat und Gesellschaft aufbauen. Im Berufsbeamtentum hat sich, mit wenigen Abstrichen, der Autoritarismus Preußens und des Wilhelminismus erhalten. In den kafkaesken Schlangen auf Behördenfluren, im geduckten Eintreten der Untertanen in die Amtsstuben drückt sich alltäglich aus, was der Begriff des „Staatsdieners“ noch immer enthält: das Hoheitliche aus der Zeit des Alten Fritz, der seine Bediensteten auf Befehl, Hierarchie und Aktenmäßigkeit trimmte. Die gesellschaftliche Realität aber ist keine nachfeudale mehr.

Die Bundesrepublik, das ist eine Gesellschaft der sozialen und ökologischen Risiken. Der Staatsdiener also ist in „Gesellschaftsdiener“ umzubenennen, in civil servant, wie es das Englische richtig definiert. Es ist einfach nicht mehr einzusehen, daß Beamte, so engagiert sie persönlich sein mögen, in ihren Sozialämtern sitzen und auf die Problemfälle Job- und Ausbildungsloser warten. Aus Beamten müssen administrative Streetworker werden. Sie müssen die Ärmelschoner ablegen und raus aus der Behörde. Draußen wartet die verschämte Oma, die nicht weiß, daß Sozialhilfe kein Almosen ist; der Jugendliche, für den jetzt eine Lehrstelle zu besorgen ist. Die Debatte um die Pensionslawine ist dabei nichts weiter als der fiskalische Hebel, um die Grundsätze zu knacken. Endlich. Christian Füller

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