: Das bedrohte Paradies
SCHREBERGARTEN Er war der Vorläufer des Urban Gardening. Besuch einer Kolonie
■ So bezeichnet man den Anbau von Nutz- und Zierpflanzen im städtischen Raum. Häufig werden hierzu brachliegende urbane Flächen gemeinsam von Bewohnern bewirtschaftet und dadurch für die Allgemeinheit erschlossen.
Es duftet nach Blumen, von fern ertönt das gemütliche Poltern einer Gießkanne. Eine ältere Dame füttert Spatzen. Die Steinplatten federn unter den Schritten, und akkurates Pflanzengeflecht lässt auch den Blick nicht straucheln. Natur plus Stadt gleich Schrebergarten, irgendwo im Herzen Berlins – ein bedrohtes Paradies? Die S-Bahn fährt direkt nebenan, und die Suche nach nutzbaren Flächen geht unentwegt weiter.
Schrebergärten haben besonders in Berlin eine lange Tradition, und so reicht die Geschichte dieser Kolonie bis ins 19. Jahrhundert zurück. Später fungierte ein Teil als Grenzstreifen und war damals bereits ähnlich streng geregelt wie nach den heutigen Statuten. Nach dem Mauerfall musste die Hälfte der Fläche Bauprojekten weichen, und nun ist auch die Zukunft des übrigen Schrebergartens ungewiss. Immobilienhaie kreisen um die 180 Parzellen große Oase überschaubarer Gemütlichkeit. Als wäre da nicht schon genug im Busch, verändert sich auch die koloniale Gemeinschaft.
Immer mehr junge Pärchen möchten hier ihren Garten haben, doch der Gemüseanbau interessiere sie nicht, berichtet ein Alteingesessener. „Das geht verloren durch die jungen Leute. Die stellen da Plastikspielzeug hin und saufen Rotwein bis tief in die Nacht. Ja, und nu?“
Das könnte Folgen haben, denn anbauen muss hier eigentlich jeder. Ansonsten erkennt der Senat als Pächter der Kolonie den Kleingartenstatus ab und stuft diese als Erholungsgarten ein, wodurch die Pachtkosten steigen. Und so käme manch alter Pächter in die Bredouille.
Dennoch sei man hier weiterhin tolerant, sagt der langjährige Kleingärtner. Auch Prominenz sah er kommen und gehen. Wladimir Kaminer habe hier seine Laube gehabt, „war ne faule Socke gewesen, hatte den Garten nur, um sein Buch zu schreiben. Zweimal im Jahr hab ich ihn gesehen, mit nagelneuer Harke und Strohhut für die Kamera.“ Was bleibt, wenn die alte Garde abtritt? Und wenn der Schrebergarten seiner ursprünglichen Bestimmung nicht mehr entspricht: Gemüseanbau, gärtnern und über den Nachbarzaun spähen?
Der Idylle tut das noch keinen Abbruch. Der Stadtlärm ist kaum zu hören, Musikfetzen werden vom kräftigen Maiwind herangetragen wie Tagträume. In die sich jäh ein Rasenmäher einmischt.
MORITZ HOLLER