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Das Tivoli-Haus bleibt eingepackt

■ Billige „Notlösung“ geht nicht, Geld für Abriß ist nicht da / Bau- und Sozialressort am Ende

„Wir können gerade mal das Nötigste für das Kita-Ausbauprogramm machen“, sagt Abteilungsleiter Heino Heinken beim Sozialressort. Der Etat für Baumaßnahmen ist vollkommen zusammengestrichen: „Geld für eine gründliche Fassaden-Sanierung oder für den Abriß des Tivoli-Hauses haben wir nicht.“

Genau vor einem Jahr hatte der Bremer Gutachter Dipl. Ingenieur H. Triebold die erforderlichen Sanierungskosten auf mehr als 5 Millionen geschätzt. Einigermaßen verschreckt von dieser Summe hatte das Sozialressort die Baubehörde gedrängt, doch nach billigeren Notlösungen zu suchen. „Ich habe gegen die Empfehlung meiner Fachleute und der eingeschalteten Ingenieure Ihren Wunsch unterstützt, durch eine vorläufige Notmaßnahme drei bis fünf Jahre Zeit zu gewinnen...“, hat am 5. August 1994 der Bau-Staatsrat Lüthge schriftlich eingeräumt.

Das Problem: Von 4000 Quadratmetern Verfliesung haben sich bei nur äußerlicher Prüfung 250 Quadratmeter als „lose“ erwiesen. Wegen der fehlenden Wärmedämmung kann eindringendes Wasser bei Frost zu Absprengungen führen. Die neuen Fenster, die in den 80er Jahren eingebaut wurden, haben die Durchlüftung gestört.

Die Konsequenz müßte eigentlich heißen: Abriß. Aber wie soll man mit einer Abriß-Birne an das 15 Stockwerke hohe Haus rangehen? Eine Sprengung dürfte sich schon wegen des am Haus vorbeiführenden Fly-Overs verbieten.

Eine ordentliche Fassaden-Renovierung und Wärmedämmung würde insgesamt aber mehr als 8 Mio kosten - plus minus 20 Prozent, das hat das Hochbauamt ausgerechnet. Eine Million davon würden an Architekt und Baustatiker gehen. Noch am 22. Juni 1994 haben deshalb Bauressort, Finanzressort, Wirtschaftsressort und Sozialressort zusammengesessen und beschlossen, keine Fassadenerneuerung zu betreiben, sondern lediglich „Notmaßnahmen“ für 905.000 Mark. So wurde es der Bürgerschaft mitgeteilt, so beschloß der Senat vor sechs Wochen am 28. Juni 1994. Das Bauressort machte Dampf, die Arbeit sollte bald beginnen. Da der Architekt Heino A. Schemmel die Maßnahme als „technisch unsinnig“ bezeichnete, sollte gleichwohl beim Pfusch am Bau mitmachen. er verlangte, daß man ihn von jeglicher Haftung und Gewährleistung freistellte - was ihm wie dem Baustatiker Mitte Juli zugesagt wurde.

Vorsichtshalber fragte der Architekt seine Haftpflichtversicherung, was davon hält. Die lehnte kategorisch jeglichen Versicherungsschutz ab - „grob fahrlässig“ würde er handeln, sich womöglich strafbar machen. Am 21.7. korrigierte sich der Architekt und lehnte den Auftrag ab. Am 26.7. schloß sich der Gutachter und Baustatiker H. Triebold an: „Das kann ich mir und meinem Büro nicht zumuten.“

In dieser Lage, so teilte daraufhin Baustaatsrat Lüthge am 5. August dem Sozialressort mit, lehne auch sein Hochbauamt die „Notmaßnahme“ ab. Begründung: Sie verstoße „nicht nur gegen die Regeln der Baukunst“, sondern bedeute auch „Gefahr für Leib und Leben Dritter“, wenn eine Kachel aus luftiger Höher herabfalle.

Damit sind Sozialressort und Baubehörde wieder soweit wie 1993: Was tun? Das Gerüst mit der Schutz-Plane könnte „in einem Zeitraum von vier Jahren“ stehenbleiben, schlägt der Staatsrat Bau vor. Das war sein letzte Idee. Dagegen aber machten Mitarbeiter des Sozialressorts arbeitsrechtliche Bedenken geltend. Entnervt schreibt Lüthge an seinen Kollegen Hoppensack von Soziales: „Ich versichere ihnen nachdrücklich, daß die von Mitarbeitern Ihres Ressorts geäußerte Vermutung nicht zutrifft, die Bauverwaltung nehme die Fassadenprobleme des Tivoli-Hochhauses zum willkommenen Anlaß, dieses zu verschönern.“

Auch die Vertreter des Sozialressorts sind am Ende mit ihrer Phantasie. Das ist keinem mehr zu erklären: 500 Millionen für den Hemelinger Tunnel sind da, acht Millionen nicht, damit die MitarbeiterInnen des Sozialressorts nicht auf Dauer 15 Stockwerke hoch hinter Baugerüst und Plane sitzen müssen. „Wo das enden wird, weiß ich nicht“, sagt Soziales-Abteilungsleiter Heino Heinken. K.W.

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