piwik no script img

lab 2015

Das Theaterstück „Seite Eins” Was ist denn schon Realität?

Ingolf Lück gibt einen zynischen Reporter, dem alles recht ist: ein Beitrag zum rechten Verständnis von Medienarbeit und Theater auf dem taz.lab.

Ein Mann, ein Smartphone, eine Bühne - Ingolf Lück als „Marco“ im Theaterstück „Seite Eins“. Bild: Volker Zimmermann

Die Figur, die wir bei diesem Stück kennenlernen, heißt Marco. Ein Journalist. Einer, der nicht allein die schnelle Nachricht liebt, sondern die menschlich zugespitzte. Er liebt die verkäufliche Geschichte, und sei sie noch so manipulativ einem Privatleben abgerungen.

In „Seite Eins”, dem nach seiner Premiere in Gütersloh vorigen Herbst hoch gelobten Theaterstück, ist dieser Marco dieser Journalist, der nach allen Regeln seiner Kunst eine junge Frau mehr oder weniger geschickt zur Strecke bringt, nur weil sie seinem Werben um ein mögliches Dasein als Star erliegt – und zwar durchaus gern.

Autor Johannes Kram hat diesen Helden des Journalismus als Hanswurst seines Metiers erfunden. Er kennt diese Spezies von Geschichtenerzählern im Mediengewerbe, er hat mit ihr selbst zusammengearbeitet.

In diesem Marco ist alles enthalten, was die Wirklichkeitskonstrukteure dieser Medien – die wir gern auf dem Boulevard verorten, wo es greller, schreiender, mieser zugeht – so Tag für Tag in die Welt setzen. Der Plot des Stücks kann natürlich nicht ganz und gar nacherzählt werden: Spannung soll ja schließlich erhalten bleiben.

Aber was man bei „Seite Eins” – und das ist durchaus die Absicht des Autors – erkennen kann, ist, dass die Realität um Stars und Sternchen nicht reportiert wird, weil der Stoff eben in der Luft liegt, weil er berichtet werden muss wie ein politisch zwingendes Ereignis.

Die Marcos dieser Welt - die auch weiblichen Geschlechts sein können – tun lediglich so, als bildeten sie das Wirkliche ab, sie backen sich ihre Chose selbst, inklusive aller Klischees und Vorurteile, die sie in sich tragen. Mit anderen Worten: „Seite Eins“ handelt von den unbewussten inneren, menschlichen Voraussetzungen dessen, was diese Art des Journalismus hervorbringt.

Ingolf Lück, den alle Welt als Comedian kennt, der aber als Straßentheatermann in Bielefeld seine Laufbahn begann, spielt diesen Marco beklemmend und auf jede Weise fern aller auf Lacher und Brüller setzenden Komik.

Der Witz, den er verströmt, ist ein bitterer, und der liegt in dem Typus des dauermobiltelefonierenden, buhlenden und drohenden Reporters selbst. Auf dem taz.lab 2015 ist dieses von dem Kritiker Hans Hütt gepriesene Schauspiel zu sehen.

Ein aktueller Anlass ist immer vorhanden, und sei es der jüngste, der Absturz eines Flugzeugs in den französischen Voralpen. Die Story von der jungen Frau, der versprochen wird, durch eine große Zeitung groß herauskommen zu können, ist nur eine von vielen, die dieses Genre des Journalismus zur Welt bringt.

Im Anschluss an das Stück im Theatersaal des HKW möchten wir mit Ihnen, dem Publikum, ins Gespräch kommen: Ingolf Lück, Johannes Kram, Hans Hütt und die taz-Chefredaktion freuen Sie und Ihre Gedanken.

JAN FEDDERSEN