: Das Straßenbild
Die Reklamerezension.Heute: Wer verkauft hier volle Hosen?
Es gibt ja Werbeplakate, da denkt man aufgrund der Bildauswahl zuerst an ein ganz anderes Produkt als an das, was da zerworben wird. Das schönste Beispiel dafür sind Wahlplakate. Bei jeder Bundestags-, Landtags- oder Kreistagswahl meint man, dass da nun ein mittelprächtiger Herrenausstatter für seine ebenso mittelprächtigen Sakkos wirbt. Aber dann steht da noch ein „Unser Mann für Buxtehude“ mit einem Parteienkürzel darunter.
Ganz umgekehrt funktioniert dieses Plakat hier. Ich fahre jeden Morgen daran vorbei und denke mir: Endlich haben die Sozis Ehrlichkeit mit Raffinesse kombiniert und das Ganze auf eine Plakatwand gebracht. Dass da ein Kindertrikotagendiscounter seine Latzhosen anpreist, mag mir nicht in den Kopf gehen. Aber zunächst muss ich mich bei Kleinkindern, Senioren und krankhaft Inkontinenten entschuldigen. Volle Hosen stehen umgangssprachlich für die Emotion Angst. Zumindest nahm ich das bis heute an. Dass dies nicht immer so ist, sei an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben.
Also, ich muss an Schröder, Müntefering, Eichel, Steinbrück oder wie sie alle in dieser Woche heißen mögen, denken, wenn ich diese durchaus ansehnliche blaue Hose sehe. Obwohl Umfrageergebnisse und Wirtschaftsdaten auf Rekordniedrigstniveau dümpeln, verkündet die herrschende politische Klasse ein Maßhalten-weiter-so! Das sagte der Dicke auch seinerzeit. Aber Schröder ist heute halt schöner dabei anzuschauen. Je mehr Ästhetik, umso weniger Widerstand, so etwas Ähnliches las ich vor etlichen Jahren.
Und wenn jetzt die Sozialdemokratie tatsächlich ehrlich vor das Publikum träte und ausriefe: „Ja, wir haben Angst vor euch! Ja, wir haben die Hosen voll bis zum Latz! Ja, wir wissen auch nicht, wie es weitergeht! Aber ja doch, das war schon immer so!“, dann würde ich mir sogar wirklich überlegen, sie vielleicht zu wählen.
Unter der Babyjeans steht aber nun mal nicht SPD. Und so muss ich rätseln, was das Kürzel „HEMA“ wohl soll. Der Claim „Kein Laden. Eine Entdeckung“ macht das Rätsel nur noch schwieriger, und ich komme fast zu spät zu meinen Terminen, weil ich das Latzhosen-Plakat anstarre und nachdenke, wer da was verkaufen will.
Manch andere Parteien haben sich ja schon umbenannt, um neue Marktsegmente zu erschließen. „Heimat ehemaliger Marxisten“ würde sich bei HEMA anbieten, wenn der Saarland-Napoleon noch wirklich dabei wäre. Ist er aber nicht. Geht also nicht. So bleibt mir nur – jeden Morgen aufs Neue – beim Vorbeifahren das Weitergrübeln und die Gewissheit, dass ein Land, in dem es Beinkleider für sagenhafte sieben Euro gibt, noch nicht ganz am Ende sein kann. LUTZ DEBUS