: Das Straßenbild
Die Reklamerezension. Heute: Berlin, S-Bahnhof Westkreuz
Eine Frau liegt auf dunklem, glitzerndem Grund. Nackt. Ein Rückenakt. Der Schwung ihrer Rückseite bildet eine geschwungene Diagonale auf dem Plakat – eine Wellenbewegung, durch die das Glitzern des Hintergrundes noch stärker die Assoziation an ein Gewässer auslöst. Ist hier eine junge Dame ins Wasser gegangen und an ein lavasteiniges Gestade gespült worden? Wohl kaum, denn die leicht unter der Kopf geschobene Hand zitiert entfernt die Denkerpose, die Geste der Kontemplation. Warum die junge Frau beim Nachdenken unbedingt unbekleidet sein muss, fragen Sie? Gegenfrage: Haben Sie schon einmal die Wahrheit gesehen, und sie war nicht nackt? Es wäre schon höchst befremdlich, mit einer bemäntelten Dame für ein Frauenparfum zu werben, das „Truth“ heißt.
In der unübersichtlich gewordenen, ja bedrohlichen Welt, so war erst vor wenigen Wochen im taz.mag zu lesen, geht der Trend zum Produkt mit ideelem Mehrwert. Bei Calvin Klein hat man diesen Zug der Zeit schon lange erkannt. Wem „Wahrheit“ noch zu profan ist, kann auch zu „Eternity“ greifen, zur „Ewigkeit“ – und zwar wahlweise zu zur „Eternity for men“ oder zur „Eternity for her“. In der CK-Ewigkeit scheinen Männlein und Weiblein strikt getrennt zu sein – mehr noch: Während sich die Männer dort gemeinsam tummeln, ist die weibliche Ewigkeit höchst individuell nur „for her“. Himmlischer Einzelknast. Da ist es schon ein Fortschrtitt, dass das brandaktuelle „Truth“ ein „scent for women“ sein soll.
Früher waren Calvin-Klein-Düfte noch nicht ganz so idealistisch konnotiert wie heute. Hatten nicht diese purity, wie Jill Sander es ausdrücken würde. Im ganzen Gegenteil! Damals klangen sie nach Psychotherapie: „Contradiction“ und „Obsession“ – „Widerspruch“ und „Besessenheit“. Welch merkwürdige Namen. Schlimmer wird‘s noch, wenn man bei „Obsession“ auch „fixe Idee“ und „Zwangsvorstellung“ mithört.
A propos: Schwingt nicht bei „Truth“ entfernt auch Treue mit? War die Unbekleidete nicht treu und liegt nun sinnend am Wasser? Ein Duft als olfaktorischer Canossagang? Das Parfum mit der Kopfnote aus Asche? Viel zu speziell. Wenn schon, dann symbolisiert die Nackte die Tugend der Treue. Allerdings scheint der Plakatdame die Treue nicht eben Freude zu bereiten. Traurig liegt sie auf der karstigen Vulkanerde. Vielleicht wäre „Verzicht“ doch der bessere Name – „Sacrifice“. Klingt gut! Allerdings könnte man dann wieder denken, die junge Frau würde geopfert.
Ach, Werbung ist ein schwieriges Unterfangen. Und regt zu Späßen an. In einer Folge von „Absolutely Fabulous“ amüsierten sich Patsy und Edina, Liz Taylor habe ein neues Parfum herausgebracht, „Sucht“. Und sicher käme bald „Entzug“ und schließlich „Rückfall“. Da haben wir gelacht. Aber hat nicht Calvin Klein diese hübsche Flachserei längst getoppt? Mit „Escape for men“ und „Escape for her“? Hilfe!
REINHARD KRAUSE
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