: Das Starke feiern
SKULPTUR Mit William Wauer stellt das Kolbe Museum einen vergessenen Bildhauer vor. Die wirklich spannenden Geschichten stehen nur im Katalog
Ist das Richard Wagner? Nein, das ist Herwarth Walden, der berühmte Streiter für den Expressionismus, den William Wauer 1917 mit einer „Monumentalbüste“ porträtiert hat – überlebensgroß und kantig. Mit jeder Linie drückt sie Entschlossenheit und präsente Kraft aus, aufwärts streben die Grate zwischen den hart aufeinanderstoßenden Flächen: Walden, der mit seiner Galerie „Sturm“ und in vielen Publikationen tatsächlich ein Kämpfer für seine Künstler und seine Überzeugungen war, ist auch unmissverständlich als ein solcher dargestellt.
Zusammen mit drei anderen „Monumentalbüsten“ begrüßt Walden den Besucher in der Ausstellung „William Wauer und der Berliner Kubismus“ im Kolbe-Museum. Einmal mehr hat sich das Bildhauermuseum eines vergessenen Künstlers unter den Modernen angenommen und stellt ihn zusammen mit berühmteren Zeitgenossen aus, wie Alexander Archipenko und Rudolf Belling. Das Anliegen des Kurators Marc Wellmann ist dabei, Verbindungen zwischen Expressionismus und Kubismus aufzuzeigen und Impulse herauszustellen, die von der damaligen Berliner Kunstszene ausgesandt wurden und in die internationale Moderne eingingen.
Tatsächlich sind Wauers Skulpturen gut geeignet, die Nähe von Expressionismus und Kubismus auszuleuchten. Einerseits prägt die Auflösung jeder Figur in Flächen und Kanten seine Plastiken, und ein ständiger Wechsel zwischen konkaven und konvexen Spannungen sorgt für Bewegtheit. Andererseits zeugen sie mit jeder der sehnigen Linien von einem großen Pathos und starken Ausdruckswillen: Es sind die großen Bewegungen, körperlich und seelisch, die Wauer gestaltet – „Läufer“ und „Boxer“, „Exstase“ und „Mit-Leid“, so die Titel einiger kleiner Skulpturen. Sie haben in ihrer Dynamik auch etwas Plakatives und Vorhersehbares, was gerade im Vergleich mit den doch komplexeren Skulpturen von Archipenko oder Belling auffällt.
William Wauer (1866 bis 1962) hatte schon eine Karriere als Filmregisseur hinter sich, als er sich mit bald 50 Jahren der Bildhauerei zuwandte, und er wurde von seinem Umfeld schnell als Genie gefeiert. In den dreißiger Jahren bremste ihn die Diffamierung der modernen Kunst als „entartet“ seitens der Nationalsozialisten langsam aus – ein Schicksal, das er mit allen anderen der ausgestellten KünstlerInnen teilt. Aber, und das erfährt man nur aus dem Katalog, nicht in der Ausstellung, William Wauer versuchte sich vor der Ausgrenzung zu retten, indem er sich den Nationalsozialisten andiente. In seinen Augen passten die Ziele der expressionistischen Künstler und die Ideologie des Nationalsozialismus gut zusammen. Er versuchte mit einer „Denkschrift über den Expressionismus“ zu beweisen, „dass unser geistiger und künstlerischer Kampf, der (…) die tiefsten Keime des Nationalsozialismus in sich birgt, von den Gesinnungsgenossen völlig verkannt wird“.
Tatsächlich feiern einige von Wauers Skulpturen die Kraft, den Sport, das Starke und das Sich-selbst-Behauptende – und deren Idolisierung hingen die Nationalsozialisten ebenso an wie viele Künstler der Moderne. Dass sie dies nicht vor Ausgrenzung schützte, dokumentieren auch die vielen Fotografien in der Ausstellung, die verschollenen Skulpturen gelten, die in den 30er und 40er Jahren verschwanden, beschlagnahmt wurden oder verkauft, von Georg Leschnitzer, Will Lammert, Johannes Itten, Oswald Herzog oder Karl Zalit. In diesem Kontext ist es schade, dass die Ausstellung nicht den Mut findet, die Widersprüche der Moderne zu thematisieren.
KATRIN BETTINA MÜLLER
■ „William Wauer und der Berliner Kubismus“, Georg-Kolbe-Museum, Di.–So. 10–18 Uhr, bis 19. Juni