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■ Das Sparpaket und das Bündnis für ArbeitMit Kalkül nicht verzwirnt?

Sparlogiken und Beschäftigungslogiken können sich ergänzen, widersprechen oder ins Leere laufen. Es spricht alles dafür, daß die rot-grüne Bundesregierung mit ihrem Sparhaushalt eine Steilvorlage für das Bündnis für Arbeit nicht mitgedacht hat – noch schlimmer. Dieser Typ von Sparhaushalt wird mit dafür verantwortlich sein, daß die Vertreter im Bündnis für Arbeit bei ihrem halbjährlichen Zwischenfazit am 6. Juli ein beschäftigungspolitisches Mäuslein präsentieren werden.

Das Zukunftsprogramm 2000 enthält Sparbeschlüsse von 30 Milliarden Mark und ordnet für die mittelfristige Finanzplanung die Unternehmenssteuerreform, die Familienentlastung, die nächsten Stufen der Ökosteuer und eine Rentenreform, um anschließend die Nettolohnformel wieder in Kraft zu setzen. Das Sparpaket ist eine rot-grüne Deklassierung der bereits sozial Deklassierten, und die Jubelchöre zu den Ausgabenkürzungen sprechen eine deutliche Sprache der Macht- und Interessenstrukturen dieser Republik. Aber diese soziale Schieflage ist unter beschäftigungspolitischen Perspektiven nicht das entscheidende Argument. Ungleich wichtiger ist der beschäftigungspolitische Blackout, auch wenn man dem Einsparpotential quantitativ zustimmt.

Von Frankreich, Großbritannien, Holland und Dänemark läßt sich lernen, daß relativ rigide Sparhaushalte mit oft groß angelegten beschäftigungspolitischen Experimenten verbunden sein müssen, bei denen der Staat eine anreizend-moderierende Rolle zu spielen bereit ist. Druck auf Arbeitslose ist nur erlaubt, wenn man ihnen auch etwas anbietet. Die Repolitisierung der Arbeitsmarktfrage in einer anderen Form ist das, was für eine andere Arbeitsgesellschaft auf der Tagesordnung steht. Der eigentliche Skandal des 30-Milliarden-Mark-Sparpakets ist demnach nicht die Einsparung also solche, sondern die mangelnde Koppelung von Sparen und beschäftigungspolitischen Experimenten. Die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik von den Kürzungen weitgehend ausgenommen zu haben ist nichts als Status quo.

Im Bündnis für Arbeit haben die staatlichen Vertreter ihre Vorleistungen im Sinne minimaler Lohnnebenkostensenkungen der Unternehmensteuerreform und der Haushaltskonsolidierung abgeliefert, aber keine moderierende Verhandlungsmacht aufgebaut, die alle Beteiligten in einen konsensualen Aushandlungsprozeß neuer Qualität bringt. Die Unternehmervertreter werden toben und kassieren, die Gewerkschaftsvertreter lamentieren und ihre Tariffront unberührt halten. Das wird es unter den Scheinwerfern des 6. Juli – bei Schröder, Henkel und Zwickel – auch gewesen sein. Vielleicht eine symbolische Initiative könnte noch möglich sein – aber sonst war es ein halbjährliches fleißiges Bienenstück ohne Honig.

Wer eine andere Arbeitsgesellschaft vorbereiten will, muß nicht nur flankierend zahlen, sondern auch Vorstellungen davon haben, wie die Zukunft der Arbeit und der Demokratie aussehen könnte. Wie wäre es etwa mit einem Anreizsystem für eine flexibilisierte 25-Stunden-Woche und die Koppelung der Sozialversicherungssysteme an diesen deutlich sinkenden Normalarbeitstag? Oder mit zwei unterschiedlichen Subventionierungsmodellen von niedrigqualifizierten Tätigkeiten im privaten Sektor, in denen die Anreize zu vertretbaren Teilzeitarbeitsplätzen unterschiedlich ausgestaltet sind? Mit einem Ermunterungs- statt einem Bestrafungsprogramm für Teilzeit in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, einer solidarischen Umverteilung im öffentlichen Dienst für mehr garantierte neue Arbeitsplätze für die junge Generation oder einem Projekt von 100.000 selbstorganisierten Arbeitsplätzen im Anschluß an das JUMP-Programm für Jugendliche? Hier müßten die staatlichen Vertreter zumindest ein Leitbild entwickeln, Angebote formulieren, austarierte Finanzierungsvorschläge im Acht- bis Zehn-Milliarden-Mark-Bereich machen, um Aushandlungsprozesse zu organisieren. Man hat den Eindruck, daß Rot-Grün sich im Bündnis für Arbeit kaum traut, den Mund zu spitzen. Wer selbst bisher nichts anbietet, wird andere nicht in Zugzwang bringen. Oder ist es sogar Kalkül, mit dem Sparpaket und dem Bündnis für Arbeit die gleiche, eher passive Arbeitsmarktpolitik fortzusetzen? Peter Grottian

Professor für Politikwissenschaft in Berlin

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