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Archiv-Artikel

Das Schweigen der Dinge

MUSEUMSSOMMER (V) In Unewatt nahe der dänischen Grenze erzählt ein Landschaftsmuseum von einer versunkenen dörflichen Lebenswelt. Das funktioniert vor allem dann, wenn das Erzählen nicht allein den ausgestellten Dingen überlassen wird. Denn Patina ersetzt noch keine Geschichte

Viele Exponate stehen stumm herum und erzählen eben nicht von selbst ihre Geschichten

VON FRANK KEIL

Landschaftsmuseum? Wird hier eine Landschaft ausgestellt? Das nicht ganz – sondern in einem Dorf wird die Kulturgeschichte einer Landschaft erzählt. Unewatt heißt der Ort, mitten in Angeln nahe der dänischen Grenze. Das dortige „Landschaftsmuseum Unewatt“ präsentiert sich dabei nicht als ein hermetisches Museumsdorf, sondern verteilt sich auf fünf Stationen, die der Besucher in seiner eigenen Reihenfolge besuchen kann.

Allein das Flanieren von Station zu Station durch hügelige Wege, entlang von Stockrosen und im Schatten von Apfelbäumen bringt einen in eine eigene Stimmung. Unewatt hat sich zurechtgemacht, jedes Haus zeigt sich von seiner schönsten Seite. Selbst die Schuppen und dahinter liegenden Kaminholzstapel preisen sich äußerst manierlich an und nebenan auf einer Wiese wühlen sich zwei Schweine vergnügt durch die Erde.

Da passt es, dass in einem Nebengebäude der Räucherei (Station Nummer zwei) recht plastisch gezeigt wird, wie so eine Hausschlachtung damals aussah, selbst wenn das zerteilte Schwein, das an der Wand hängt, ein Modell aus Gips ist. Dafür ist die Wurststopfmaschine echt.

Gleich nebenan erhebt sich das Umspannwerk, mit dem die Elektrizität 1919 nach Unewatt und in die umliegenden Höfe kam: Jeder Bauer hatte pro Hektar 15 Reichsmark zu zahlen und die Nachfrage war so groß, dass es schon bald zu Stromausfällen kam.

Spannend ist die Buttermühle (Station Nummer drei), wo dank Wasserkraft ab 1861 Butter in großer Stückzahl gewonnen wurde. Butter war der Exportschlager Angelns: Mehr als 40 Prozent gingen auf dem Postweg hinaus in die Welt, vorzugsweise nach Chemnitz, Leipzig und Dresden, in Kühlwagen der Bahn, per Nachnahme. Sehr schön wird in Unewatt von der Mechanisierung eines Naturproduktes erzählt, dessen Preis täglich an der Hamburger Butterauktion festgelegt wurde und das sofort den Bedingungen des Marktes unterliegt. „Bei keinem Nahrungsmittel ist die Gefahr der Fälschung so groß, wie bei Butter“, wie der Inhaber der Meierei an seine Kunden schreibt – um seine Butter zu loben.

In der Christesen-Scheune (Station Nummer fünf) lohnt eine kleine, aber feine Fotodokumentation über den Fischer Karl-Heinz Lietzow, der noch im stolzen Alter von 87 Jahren im nahen Norgaardholz auf die Ostsee fuhr und seinen Fang stets direkt vom Boot aus an die Kunden verkaufte. Zuletzt legte er den Weg von seinem Wohnhaus zum Boot mit Hilfe eines Rollators zurück, in dessen Korb die Netze lagen. Da ist es angemessen, dass nicht nur Lietzows Boot, sondern auch sein Rollator ausgestellt ist.

Zugleich zeigt sich in der Christesen-Scheune, aber auch im Marxenhaus (Station Nummer eins) deutlich eine Schwäche, die überall in Museen zu finden ist: Viele Exponate wie Traktoren, Ackergeräte, Bauernschränke oder wuchtige Wäschetruhen stehen stumm, wenn auch liebevoll drapiert herum und erzählen eben nicht von selbst ihre Geschichten. Man muss schon sehr aufmerksam die Blätter des Unewatter Gesangsvereins studieren, wie sie in einer Vitrine ausliegen, um darauf zu stoßen, das eben auch in Angeln fundamentale geschichtliche Umbrüche im Lokalen ihre Entsprechung fanden: Ertönten im Februar 1928 bei den Festlichkeiten des Unewatter Gesangsvereins erst Auszüge für den Jägerchor aus der Freischütz-Oper von Carl Maria von Weber und Lieder wie „Oho, du stolzes Mädel“, bevor zum Ball aufgespielt wurde, so lauten die Gesangsvorträge im Februar 1935 „Vaterlandslied“ und – da das offenbar noch nicht allen vertraut ist – „Was ist des Deutschen Vaterland?“

Es wäre wünschenswert, wenn bei mehr Ausstellungsstücken deren Bedeutung für den Alltag der damaligen Menschen vermittelt werden würde, auch damit sie ihrer pittoresken Patina des eben seit langem Vergangenen entledigt werden. So ist es gut, dass in der Windmühle „Fortuna“ (Station Nummer vier) Museumsfreund Johannes Lansen Dienst hat, der nicht nur die Eintrittskarte abhakt, sondern sofort zur Stelle ist, sobald sich eine Handvoll Besucher in der Mühle versammelt hat. „Das ist ein Galerieholländer“, stellt er seinen Wirkungsort vor und führt die Besucher im ersten Stock nach draußen auf eben die Galerie, von wo aus man einen fantastischen Blick über die Landschaft Angelns hat. Neben dem „Galerieholländer“ gebe es noch den „Erdholländer“, sagt Lansen: „Dem fehlt ein Stockwerk und der hat keine Galerie. Dafür hat der aber einen Keller.“

Und dann schaltet er mal eben das Mahlwerk an, lässt es rumoren und rumpeln und weist auf den Mühlstein aus Granit hin, dessen Rillen und Rinnen der Müller alle sechs Wochen eigenhändig mit dem Hammer nachschleifen musste, sollte das Korn anständig und gleichmäßig zerrieben werden. „Das ist ein Halbtag Arbeit. Muss sein“, brummelt er, damit unter den meist urlaubenden Gästen nicht zu viel Respekt vor der körperlichen Arbeit aufkommt.

Noch etwas erfährt man von ihm, das dem Laien glatt entgangen wäre: Die Mühlenflügel stehen heute so, das der Eingeweihte schon von weitem sieht, dass hier in Kürze eine Trauung stattfindet und kein Todesfall das Dorf betrübt. Unten im Eingangsbereich ist denn auch alles festlich geschmückt, sind Stühle aufgereiht: „Der Müller hat früher natürlich nicht in der Mühle geheiratet, sondern in der Kirche. Aber is’ ja alles lockerer geworden“, sagt Lansen noch und schaut nun drein, als ob gerade das ihm sehr gefällt.

Landschaftsmuseum Angeln / Unewatt, bis Ende September: Di – So, 10 – 17 Uhr