: Das Schulsterben geht weiter
50 Grundschulen in Hamburg werden in absehbarer Zeit geschlossen, so neue Pläne der Schulbehörde. In jedem Stadtteil soll eine Schule sterben. SPD-Abgeordnete Fiedler befürchtet Kannibalismus unter den behördlich verordneten Anmeldeverbünden
Von Kaija Kutter
Kaum ist die Debatte über Schulstandorte scheinbar abgeschlossen, droht den 230 Hamburger Grundschulen ein neuer Kampf ums Überleben. Denn Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (parteilos) teilt diese zum neuen Schuljahr in 58 „Anmeldeverbünde“ auf. Wie der Senat in der Antwort auf eine Anfrage der SPD-Abgeordneten Luisa Fiedler nun einräumt, gibt es „in 50 der 58 Anmeldeverbünde“ zurzeit „mindestens eine Grundschule“, die in Klasse 1 nicht die erforderliche Zahl von 54 Schülern aufweist: Ihnen droht das Aus.
Lediglich in den acht Verbünden Mümmelmannsberg, Schnelsen, Niendorf-Süd, Eimsbüttel/Rotherbaum, Alstertal, Harburg-Süd und Wilhelmsburg-West gibt es laut Senat ausreichend Schüler. In den anderen 50 Verbünden ist je mindestens ein Standort gefährdet. Die Liste (siehe Kasten) enthält auch die Namen der 17 Standorte, deren Ende bereits beschlossen wurde. Auch sie dürfen weiter um neue Schüler und ums eigene Überleben kämpfen.
Diese Schließungen galten keineswegs als gerichtsfest. Denn bislang durften Grundschulen klein sein, Paragraph 87 des Schulgesetzes sieht bewusst für sie keine Mindestzügigkeit vor. Am heutigen Tag soll die Deputation der Schulbehörde jedoch eine Gesetzesänderung beschließen, wonach auch Schulen für ABC-Schützen zwei Klassen à 27 Schüler pro Jahr haben müssen. Wird diese Untergrenze mehrfach verfehlt, wird dieser Standort „aufgegeben“.
Kombiniert mit dem neuen Anmeldeverfahren bedeutet dies, dass jede Schule um Schüler ringen muss. Denn das alte Prinzip der regelhaften Zuordnung der Kinder zur nächstgelegenenen Bezirksgrundschule soll nicht mehr gelten. Eltern sollen neben einem ersten auch einen Zweit- und Drittwunsch für die Schule nennen, auf die sie ihr Kind schicken würden. Die Schulleitungen und im Streitfall die Behörde entscheiden, wo das Kind eingeschult wird. „Ein Rechtsanspruch auf die Einschulung an eine bestimmte Schule besteht nicht“, so der Senat.
„Da werden sich Eltern auf unerfreuliche Behördenentscheidungen einstellen müssen“, fürchtet nun Luisa Fiedler. Die Lehrerin prophezeit eine neue Schließungsrunde, „die die Behördenpläne vom Herbst in den Schatten stellt“. Den Schulen werde ein „Anmelde-Kannibalismus“ aufgezwungen, der zur „permanenten Verunsicherung“ von Eltern und Lehrern führe.
„Keine Schule kann sich mehr sicher fühlen. Diese Unruhe konterkariert stabile pädagogische Arbeit“, kritisiert auch GEW-Sprecherin Ilona Wilhelm. Sie appelliert an die Deputierten, die Novelle des Paragraphen 87, die übrigens auch höhere Zügigkeiten für weiterführende Schulen festlegt, abzulehnen. Wilhelm vermisst „jede pädagogische Orientierung. Dies ist nur die juristische Unterfütterung für ein groß angelegtes Abwicklungsprogramm.“ Als Zeichen ihres Protests will die GEW zusammen mit Eltern- und Lehrerkammer am 1. Februar eine Mahnwache vor dem Rathaus abhalten.