: Das Schrumpfen der Großparteien
Die Kommentare registrieren das zunehmend schlechte Abschneiden der großen „Volksparteien“, also der Sozialdemokraten und der Christdemokraten, bei den Wahlen in Deutschland, aber auch anderswo, mit mehr oder weniger Verwunderung. Dabei ist dieses Phänomen einfach zu erklären. Beide Großparteien verdanken ihre Existenz dem erfolgreichen Kampf gegen die ausbeuterischen Auswüchse des kapitalistischen Wirtschaftsliberalismus im späten 19. Jahrhundert und ihrem fortgesetzten sozialen Engagement.
Dem neoliberalen Zeitgeist und dem Einfluss der USA folgend, glauben aber heute ihre modern sein wollenden Parteiführer, mit Reformen die sozialen Erfolge und Errungenschaften ihrer Väter und Großväter zurücknehmen zu müssen. Die Verschlechterungen werden als „Zukunftssicherung“ für die nachfolgende Generation erklärt, die aber in Wahrheit nur weniger Solidarität und ein geringeres Erbe zu erwarten hat. So wird die Masse der Wähler, die auf ihre Arbeitskraft angewiesen ist, mit ihren Zukunftsängsten allein gelassen. Stammwähler fühlen sich verraten und suchen Zuflucht auf dem rechten und linken Rand des politischen Spektrums.
Der Erfolg der neuen Linken beeindruckt aber Sozialdemokraten und Christdemokraten nicht. Beide wollen mit der FDP am neoliberalen rechten Rand koalieren, keinesfalls aber mit Leuten, die heute noch dort stehen, wo einst sie selbst im Kampf für Solidarität gegen wirtschaftliche Übermacht standen. Auf diese Weise werden sie ihre Existenzberechtigung endgültig verspielen.
ERICH SCHÄFER, Wien, Österreich
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